Donnerstag, 20. Dezember 2012

In den Schuhen meiner Beziehung


Ich sitze mit dem Anderen am Esstisch, als er sich die Küchenrolle zur Hand nimmt, an seinen Mund hält und irgendetwas Unverständliches in mein Ohr brüllt. Daraufhin lacht er - so, wie er eben immer lacht - während ich versuche, mir ein Lächeln zu verkneifen (was ich gerade übrigens auch tue) und bitte ihn, doch erwachsen zu werden.

Wenn ich meinen Freundinnen erzähle, er müsse anscheinend sein inneres Kind ausleben, dann lachen die Vergebenen und sagen, sie hätten ebenfalls einen Michel aus Lönneberga zu Hause sitzen.

So unterschiedlich zwei Menschen auch sein können – stecken sie in einer Beziehung, so haben sie die besten Chancen, genau daran zu (er)wachsen. Zu erkennen, dass das, was sie am meisten kritisieren, oftmals das ist, was sie selbst wollen. Oder nicht können. Oder beides. Dann sollte man handeln, denn wenn die Leichtigkeit geht, dann geht auch langsam alles andere.

Ich lerne zum Beispiel gerade, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen. Obwohl ich Schauspielerin bin und die Menschen, die mich gut kennen auch sehr oft die Bekanntschaft mit meiner großen Klappe machen, kann ich auch ganz schnell ganz schüchtern und zurückhaltend sein. Lächeln, obwohl mir eher nach Weinen ist. Die Klappe halten, obwohl ich doch so viel zu sagen habe.
Also lerne ich es jetzt. Von ihm. Und bei den Dingen, die mich dann immer noch nerven, frage ich mich, was mich wirklich daran stört. Und warum überhaupt. Was dahintersteckt. Und ob ich darüber hinwegschauen kann, weil es doch eigentlich so nichtig ist.

Das mag vielleicht sehr anstrengend oder pseudo-psychologisch klingen, aber mir hilft es dabei, immer wieder an den Punkt zu kommen, an dem ich dankbar für meinen Anderen bin - weil ich mich lieber mal divenhaft aufrege, als niemanden zu haben, über den ich mich aufregen kann. Und danach trotzdem küssen darf. Har Har Har.

Im Grunde ist es aber immer gleich: Wenn er mir auf die Nerven geht, dann giggelt mein kleines Mädchen und die Frau in mir rollt gleichzeitig die Augen. Auf hohem Absatz und im Kinderschuh - kein Wunder, dass ich so oft verwirrt bin.
Wir stehen uns manchmal selbst im Weg, wissen gerade noch, wo wir herkommen, aber manchmal so gar nicht, wo wir hinwollen. Wir suchen uns jemanden dazu, dem es vielleicht genauso geht und gerade dann hilft nur die gute, alte Leichtigkeit, mit der man Hand in Hand durch die junge Beziehung schreiten kann. Oder hüpfen.

Manche sind ja der Meinung, Gegensätze würden sich anziehen. Und wiederum andere behaupten, dass man genug Gemeinsamkeiten für eine funktionierende Beziehung haben muss. Ich persönlich habe keine Ahnung. Wer gemeinsam gerne Ski fahren geht, ist nicht davor gefeit, sich trotzdem im Urlaub zu trennen. Eventuell, weil einer von beiden schlechter unterwegs ist und den Partner umfährt. Und wer anfangs die Unstimmigkeiten anziehend fand und immer von leidenschaftlichem Feuer geredet hat, kann sich schnell erschöpft bei der Paartherapie einfinden. Sparflamme auf dem Sofa.
Und irgendwo, zwischen all diesen Beziehungs-Irrungen und –Wirrungen versuche ich, meine ganz Eigene zu gestalten. Versuche, an den Herausforderungen zu wachsen, die Unterschiede zu überbrücken und die Gemeinsamkeiten auszuleben. "Klingt ja ziemlich erwachsen", sagte das verliebte Mädchen in mir und trat schmollend mit ihrem Glitzerschuh gegen mein Schienbein. Also habe ich eingeräumt und was daraufhin passierte, war Folgendes:

Gestern Abend bin ich vergnügt durch die Wohnung gehüpft, mit meinem Glas Weißwein in der Hand. Als wir dann am Esstisch saßen, meinte der Andere spitzbübig:
„Schön, dass du wieder gut drauf bist! Im Gegensatz zu gestern, da warst du ja eher schlecht gelaunt.“ Ich fühlte mich ein wenig ertappt und erwiderte räuspernd. „Ja und? Ich habe eben einen facettenreichen Charakter.“ Die zwei paar Schuhe gefallen mir ehrlich gesagt beide ganz gut.

Als ich übrigens gefordert hatte, er solle erwachsen werden, tat mir die Aussage im gleichen Moment schon fast wieder leid und ich dachte sofort: Verlange ich schon wieder zu viel? Wo versteckt sich die Leichtigkeit, wenn man sie so dringend braucht? Und wo sind meine blöden Glitzer-Ballerinas? Hallo? Hallo...!?

Ganz lieb sagte er dann: „Versprochen“. Und leckte mir über die Nase.

(c) Ani 2012

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Das Gespräch der Hirnlosen

Was macht man, wenn man mit einem Menschen nicht über das Small-Talk-Niveau hinauskommt? Klar, akzeptieren, dass derjenige einfach nicht mit mir auf einer Wellenlänge ist, das wäre eine einfache, aber klare Lösung. Nur was, wenn der Mensch sich auf unbestimmte Zeit ins eigene Leben gesetzt hat, also z. B. die Partnerin des Bruders oder der beste Freund der allerbesten Freundin ist? Ja, da wird es schon schwieriger.

Ich hasse Small-Talk und hoffe, dass ich da für die meisten (bitte alle) spreche. Wenn ich mit jemandem über Belanglosigkeiten rede, weil man sich noch nicht gut genug kennt für Intimitäten oder, weil man sich einfach nicht genauer kennenlernen möchte, dann beobachte ich mich immer von außen und könnte mir direkt vor die Füße kotzen. Ein nettes Lächeln hier, ein Plausch über das triste, norddeutsche Wetter da, zack ist es fertig, das Geschwätz der leeren Hirne – und ich bin eins davon. „Mittendrin, statt nur dabei!“, schreit die eine, noch funktionierende Hälfte, bevor auch sie gänzlich verstummt.

Ich bin ja eher Typ Herz auf der Zunge. Wenn ich ein Gläschen Wein intus habe und mir jemand vorgestellt wird, den ich sofort r-e-i-z-e-n-d finde, dann bin ich ab dem ersten Moment ungehalten. Gerne erinnere ich mich zurück an das Kennenlernen eine meiner Freundinnen. Wir dateten damals den gleichen Typen kurz hintereinander. Ich war die Erste, als kleine Randinformation. Als er sie dann zu einer Feier mitbrachte, trank ich mir Mut an, denn es gab nur eine Mission für mich an diesem Abend: Ausspionieren. Also habe ich mich dezent schwankend an sie herangepirscht und pseudo-unwissend angesprochen.  „Na, und mit wem bischd duuu hieaa?“
Zehn Minuten später lagen wir uns in den Armen, hatten eine gemeinsame Weltreise geplant und beide zugegeben, dass der Mann, den sie gerade und ich vorher gedatet hatte, irgendwie eher eine Frage, als eine Antwort sei. Ich gebe zu, der Alkohol hatte diese große Sympathie natürlich unterstützt – wir verstehen uns aber nach wie vor genauso gut, übrigens auch während ihrer Schwangerschaft, da tranken wir nämlich beide nichts.
Im Allgemeinen habe ich es bis jetzt noch nie bereut, sehr schnell den in meinen Augen wunderbaren Menschen näherzukommen. Wozu auch über das Wetter reden, wenn jeder die App dafür auf seinem Handy hat? Wozu Komplimente über das Kleid machen, wenn es immens unvorteilhaft geschnitten ist? Eben.

Was aber tun, wenn man weiß, dass da jemand ist, mit dem man sich früher oder später auseinandersetzen muss, aber jedes mal nach Worten ringt, weil einem nichts, einfach nichts einfällt? Leere im Kopf. Es ist ja auch einfach eine traurige Sache, schließlich ist man sich nicht automatisch unsympathisch, nur, weil man keine Gemeinsamkeiten hat. Ich bin unsportlich, mal abgesehen von Yoga und einer auf Eis gelegten Ballettkarriere – wie soll ich mich also mit jemandem unterhalten, der alle Sportarten dieser Welt beherrscht und ich schon Ausschlag kriege, wenn ich nur an eine davon denke? Ist es denn zwischenmenschlich legitim, mit jemandem auf einem oberflächlichen Niveau zu bleiben, obwohl er ein wichtiger Bestandteil im Leben eines mir wichtigen Menschen ist? Ausweglos, scheint es mir, aber beim Small-Talk will ich es eben nicht belassen.

Eventuell hilft ja auch hier ein Gläschen – oder eine Flasche – Wein. Dann überschütte ich die betreffende Person einfach mit peinlichen Anekdoten aus meinem Leben (oder dem Leben meiner Freunde) – soll, wie wir seit Bridget Jones wissen, ungemein sympathisch wirken. Damit ist dann vielleicht der Weg für gemeinsame Peinlichkeiten geebnet – und die schweißen bekanntlich am stärksten zusammen.

© Ani 2012

Samstag, 1. Dezember 2012

Ich kaufe einen Kompromiss und möchte lösen


Macht man einen Kompromiss für sich oder für jemand anderen? Oder für beide? 
Wenn ich will, dann bin ich gut im Kompromisse machen. Zum Beispiel bin ich dazu bereit, einen grauen, nebligen Tag im Bett zu verbringen und mich nicht zu bewegen, obwohl ich eigentlich so viel geplant hatte. Kein Problem, ich bin ja flexibel.

Aber bei so manch anderen Kompromissen stecken große Erwartungen dahinter, die zu zerplatzen drohen in dem Moment, in dem die Erwartung enttäuscht wird und ein Kompromiss vor der Tür steht. 
Ich habe in letzter Zeit für meine Verhältnisse viel gestritten, sowohl mit guten Freunden als auch mit meinem Anderen oder meiner Mutter. Manchmal ging es von mir aus, manchmal waren es überschäumende Situationen oder lange, totgeschwiegene Probleme, die langsam aber sicher an die Oberfläche wollten. Und jedes Mal stand man vor der Wahl, einen Kompromiss anzunehmen, einen zu offerieren oder - im schlimmsten Fall - sich erstmal umzudrehen, weil eine Schnittstelle so weit entfernt lag, wie weiße Weihnachten in Australien. 

Die Frage ist doch eigentlich immer die: Wie viel bin ich bereit zu geben, um etwas, das mir wichtig ist, zu halten? Also, wie lange möchte ich streiten, um keinen Kompromiss eingehen zu müssen und wann ist mir alles Recht, nur damit man wieder gemeinsam lachen kann?

Ich persönlich kam in letzter Zeit oft an den Punkt, an dem ich gezwungen wurde, mich immer wieder zu fragen, ob ich zu viel verlangen würde. Vor allem vom Partner, da greift man ja nur zu gerne zu. Ich versuche mir dann immer vorzustellen, was ich tun würde, wäre ich in der Situation des mir Gegenüberstehenden - und zu meinem eigenen Leid musste ich mir oft eingestehen, dass mir sicherlich das Gleiche passiert wäre, sprich: Ich hätte mich oftmals genauso verhalten. Doch nur, weil wir in der anderen Position sind, nehmen wir uns so oft heraus, zu urteilen, zu verlangen und einfach so zu tun, als würden wir es immer und zu jeder Zeit besser wissen. Manchmal stelle ich mir vor, wie ich an einem seidenen Faden hänge, eine brennende Schlucht unter mir und trotzdem hätte ich alle meine Termine im Kopf, während ich dem Anderen fast minütlich vorwerfe, irgendetwas, in meinen Augen unglaublich Wichtiges, wiedermal vergessen zu haben - trotz Kalender und ohne brennende Schlucht. 

Zwischen Mann und Frau herrscht teilweise noch mehr, als eine brennende Schlucht. Während wir B sagen, denken die Männer immer noch an A und in der Zeit, in der sie versuchen, uns zu verstehen, haben wir Frauen schon wieder beschlossen, anderer Meinung zu sein. Dass ich da manchmal in ratlose Augen schaue, verstehe ich. Schon Loriot wusste die sprachlichen Probleme zwischen Mann und Frau zu verdeutlichen, indem er anhand des zu hart gekochten Frühstücksei aufzeigte, wie weit wir manchmal entfernt sind und dass wir oftmals bereit sind, uns an Kleinigkeiten hochzuschaukeln, anstatt den Kompromiss einzugehen, die Klappe zu halten. Und das Ei einfach aufzuessen.

Ich erwarte unglaublich viel und zwar vor allem aus dem Grund, weil ich auch sehr viel gebe - oftmals mehr, als ich müsste. Aber Erwarten ist im Allgemeinen recht ungesund und am Ende steht man meist alleine da. 
Bewundern tue ich die Menschen, die einfach nur geben und bei dem Gedanken eines Geschenkes vor Scham ganz ehrlich rot werden und reinen Herzens den abgedroschenen Satz "Das hätte wirklich nicht sein müssen" sagen können. Ganz einfach, ganz bescheiden, keine falschen Erwartungen, ergo keine Enttäuschungen. Vielleicht liegt das in der Natur jener Menschen und für alle anderen ist es einfach zu anstrengend - einfach haben wir es ja uns schon immer gemacht.
Weihnachten steht vor der Tür. Während die Einen munter ihre Adventskalendertürchen öffnen und sich freuen, fangen die Anderen schon langsam an zu streiten. Weil das Geschenk zu klein sein wird, weil man sich ja eh etwas ganz anderes gewünscht hätte, weil man doch eigentlich gar nichts will, außer…!
Viele Familien, die ich kenne, haben übrigens den Beschluss gefasst, sich nichts mehr zu schenken. Scheint auch ein Kompromiss zu sein. Nur ist es deswegen, einfach Erwartungen aus dem Weg gehen zu können? Denn, vielleicht spreche ich hier nur für mich, aber mir macht es unglaublich viel Spaß, einen Menschen glücklich zu machen, weil wir beide wissen, dass das Geschenk von Herzen kommt und einige Denkanstöße, sprich kostbare Zeit, in Anspruch genommen hat. 

Ich gebe gerne, aber ich nehme auch gerne. Und wenn mich einer dabei schief anschaut, dann mache ich mit mir selbst einen Kompromiss. Nämlich den, dass ich so lange mit meinen Angewohnheiten friedlich unter einem Dach (hinter einem Herzen, meinem) lebe, bis ich bereit bin, mich zu ändern. Für jemand anderen oder für mich selbst - das ist und bleibt dann der größte Kompromiss, den ich machen kann. 

© 2012 Ani

Mittwoch, 14. November 2012

Schattenspiele


Raise my hands, paint my spirit gold, bow my head, keep my heart slow“


Noch vier Stunden bis zur Sonnenfinsternis.

Zwar auf der anderen Seite der Hemisphäre, aber spüren tun wir sie wohl trotzdem.
Der Guru sagt, ich soll meine Sorgen aufschreiben, quasi der schwarzen Sonne übergeben. Schön finde ich diesen Gedanken, erinnert mich an meine Sorgenpüppchen, die immer unter meinem Kopfkissen lagen, als ich noch klein war. Und erinnert mich an meinen Traumfänger, der immer dafür da war, böse Alpträume fernzuhalten.

Um 23Uhr wird’s magisch, so heißt es. Ich musste also nicht lange überlegen, den einzigen Zug, den es zur Auswahl gab, um den Anderen wiederzusehen, zu buchen – ganz zufällig soll dieser um 23h in seinen Zielbahnhof einfahren. Zeit genug, um meine Sorgen zu sortieren, eine kleine Rangliste zu erstellen und mich gebührend von ihnen zu verabschieden.

Ganz schnell wird es ganz schön anstrengend. So voller Überraschungen und toller Ereignisse dieses Jahr war, so voller Sorgen bin ich wiedermal am Ende dessen und der Druck des bevorstehenden Jahreswechsels macht das beunruhigende Gefühl nicht einfacher.
Dazu kommt, dass ich um diese Jahreszeit immer melancholisch werde, zum Glück bin ich da nicht alleine. Am späten Nachmittag wird es dunkel und pünktlich zur Tagesschau (läuft die eigentlich noch? Muss ja Traumquoten haben) hat man das Gefühl, ins Bett gehen zu müssen – kein Wunder, dass es da an Motivation und guter Laune fehlt (ich übertreibe, um zu verdeutlichen, man weiß das ja).
Wie auch immer, ich sitze im Zug – das Sinnbild für Nachdenklichkeit und Reisen – und denke nach, während ich reise.

Was lief gut dieses Jahr? - Oh, so einiges.
Privat oder beruflich? - Du wirst es kaum glauben, aber in beiden Bereichen gab es Höhe- und Wendepunkte.
Schön, und worüber möchtest du dich dann beklagen? - Ich bin deutsch, ich muss mich beklagen.
Im Ernst? - Ich beklage mich nicht, ich bin nur überfordert. Das Jahr war nicht nur für mich sehr aufregend und jetzt muss ich das ordnen, wenn ich fröhlich unter dem Weihnachtsbaum sitzen möchte.

Welche Sorgen wollen als erste über Bord gehen? Kann ich die Großen einfach verschwinden lassen oder eventuell umbringen? Sitze ja schließlich nicht umsonst im Orient-Express.
Na gut, gehe ich das Ganze erwachsen an, dann weiß ich, dass ich mich mit allen auseinandersetzen muss, weil ich sonst nichts lerne und die Geister, die ich rief immer und immer wiederkommen. Ich weiß schon, aber einfach ist es nicht, denn mit so einigen Geistern möchte ich mich gar nicht beschäftigen. Ich habe bei ein paar Situationen das Gefühl, sie würden sich seit Jahren wiederholen, nur immer neu verpackt, sodass man manchmal viel zu spät erkennt, dass man sich schon wieder im gleichen Spiel befindet – manchmal möchte ich wirklich lieber Spieler sein, als Spielfigur. Denn wenn das Leben ein Spiel ist, dann möchte ich gewinnen.

Je länger ich nachdenke, desto größer wird mein Wunsch, mich mit allem und allen auszusöhnen, vor allem mit mir selbst. Die Selbstzweifel – man kennt sie – sind größer denn je. Warum, weiß ich gar nicht genau. Vielleicht ist selbst mein Unterbewusstsein dem Drama nicht abgeneigt und hat mir deswegen was Nettes gebaut, womit ich mich jetzt auseinandersetzen darf, muss, soll.

Sorgen machen bringt ja nix. So mal rein nüchtern betrachtet. Situationen lassen sich im Grunde nur mit positiver Einstellung lösen, sich Sorgen machen ändert nichts, im Gegenteil, man fühlt sich lediglich permanent schlecht, anstatt eventuell nur manchmal. Was bringt es uns, morgens in den Spiegel zu schauen und sich zu denken „Also, nein, dieses Gesicht wird langsam echt zum Problem.“ Oder „Sie hat das nicht explizit so gesagt, aber ich bin mir unglaublich sicher, dass sie es genauso meint und wenn sie das wirklich dann auch tut, dann kann sie was erleben und bis dahin rede ich mir zumindest jeden Tag ein, dass es so ist, wie ich es befürchte.“ Unglaublich hilfreich, ja.

Also, Sorgen ade. Selbstbewusstsein und Positivismus, hello, my new best friends! Or soon to be maybe. Ich arbeite dran.

Im Laufe meiner äußerst verschlungenen Gedankengänge merke ich auch, dass ich Menschen vermisse, die mein Leben verlassen haben, vielleicht nur vorübergehend, aber zumindest sind sie gerade weg und ich frage mich, was sie gerade tun, wo sie sind und ob sie dort glücklich sind. Viel zu gerne würde ich mit ihnen reden, am liebsten würde ich sie an einem magischen Ort treffen, wo man sich begegnet, innehält und redet, damit das Vermissen ein bisschen gestillt ist – aber alles hat wohl seine Zeit und seinen Sinn. Also warte ich ab und versuche, mir weniger Sorgen zu machen.

Und richte den Fokus auf mein Ziel. Das Ziel, das ich in drei Stunden erreichen werde. Das Ziel, welches ich nächstes Jahr im April endlich erreichen möchte. Das Ziel, das ich vor 30 erreichen möchte. Das Ziel, das ich nicht erreichen möchte, weil es immer da sein soll – Glück. Ab jetzt und mehr davon. Los.

Noch drei Stunden bis zur Sonnenfinsternis. Ich zücke meinen Stift.

Für die beste Band der Welt, meine persönliche Sonnenfinsternis.

© Ani 2012

Dienstag, 6. November 2012

Unter zwei Augen


Ja genau, auf hochdeutsch nennt man das Selbst-be-frie-di-gung. […] Das ist das, was die deutschen Frauen am meisten machen. […] Bei uns darf man das auch machen, aber die Deutschen betreiben es am meisten.“

Huch. Die orientalisch aussehende Dame in der U-Bahn kannte sich ja immens aus und das Tolle war, dass sie beschloss, ihr großartiges Wissen zu teilen – vor allem mit den deutschen, um sie herum sitzenden Frauen.

Authentisch sein in allen Situationen. Das war das Erste, was mir eingefallen war, als meine Freundin von dieser Situation erzählte und wir Tränen lachten. Für mich war die nette Ausländerin wirklich in erster Linie authentisch, denn entweder war es ihr – auf gut deutsch, haha – scheißegal, was die anderen U-Bahnfahrer/innen über sie dachten oder sie wollte bewusst ihre Meinung teilen und ein Zeichen setzen – so oder so, Selbstbewusstsein hat die Gute.

Kind, egal, was passiert, sei authentisch. Das ist das Beste, was dir und Anderen passieren kann.“ Ein Rat, den mir meine Mutter schon gab, als ich nervös vor dem Kleiderschrank herumtänzelte, weil wiedermal eins dieser allseits bekannten, ersten Dates anstand. Und auch heute noch schickt sie mich mit diesen Worten an neue Drehorte und zu Vorstellungsgesprächen.

Mama hat immer Recht, genauso wie Oma, die das ja auch schon Mama geraten hatte. Also versuche ich es natürlich immer umzusetzen. Authentisch zu sein ist schwierig, wenn man aufgeregt ist, wenn man alleine einer ganzen, schon längst eingeschweißten Crew entgegentritt oder wenn man hofft, dass das bevorstehende Date sich endlich mal nicht als „Endstation Sehnsucht“ entpuppt.
Es ist ja dann letztendlich auch wirklich eine Gratwanderung, denn was fällt überhaupt unter diesen Begriff? Heißt es, dass ich von vorne herein Klartext sprechen kann, also dass ich z. B. meinem Gegenüber besser gleich erzähle, dass ich an verregneten Sonntagen „Die drei ???“ höre, mir ab und an um 6 Uhr morgens die Augenbrauen zupfe und jeden Tag mit mir Konversationen (teilweise vor dem Spiegel) führe? Wohl eher abschreckend, jetzt, wo ich das so geballt lese. Aber ja, so bin ich, zumindest der wahrhaftige Teil.

Ich glaube ja, dass die meisten von uns so viele Facetten an sich haben, dass sie bei verschiedenen Leuten auch selbst immer ein bisschen anders sind. Zwar bleibt der Kern stets gleich, aber man passt sich doch schnell an: Wird in einer Runde ein Thema diskutiert, von dem man keine Ahnung hat, sitzt man tendenziell eher ruhig dabei und hört zu, während man beim neuesten Klatsch und Tratsch kaum die Klappe zubekommt. Ganz schnell bekommen die Leute um einen herum ein ganz anderes Bild, als die engsten Freunde es haben. Ist man nun trotzdem in beiden Fällen authentisch und wann fängt man an, sich zu verstellen – ohne es zu merken?

Die Dame in der U-Bahn hätte sicherlich auch noch fröhlich ausgeplaudert, wie sie selbst zum Thema Selbstbefriedigung stehe, man hätte sie wohl nur fragen müssen. Vielleicht hätte sie eine kostenlose Infobroschüre gleich dabei gehabt – herrlich, je länger ich über sie nachdenke, desto beeindruckender finde ich sie. Ganz gleich, ob sie mir sympathisch ist oder nicht, sie verstellt sich nicht, ich glaube sogar, ihr würde der Gedanke nicht einmal kommen.

Ich bin eher Typ Ich-möchte-es-allen-rechtmachen. Am Drehort setze ich mich manchmal zu den Komparsen dazu, nur, um nicht irgendjemanden mit Fragen nach dem Aufenthaltsraum zu nerven. Wenn ich dann vergeblich gesucht werde, habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich auf den Hasen meiner besten Freundin aufpasse, bete ich immer leise, dass er nicht stirbt, denn das könnte ich mir nie verzeihen, nicht mal, wenn er einfach nur einschlafen würde. Und wenn Omi 80 Jahre alt wird, dann fahre ich schon mal 600km für 24 Stunden, um dann direkt danach weitere 800km zu fahren, weil ich umziehe. Ja, diese Art und Weise kann anstrengend sein, aber im Allgemeinen fahre ich damit sehr gut, es sei denn, ich halte zu lange meinen Mund, wenn mir etwas nicht passt, und schäume dann über, was zwar unter „authentischer Ausbruch meinerseits“ fällt, aber nicht unbedingt sein muss.

Ich möchte immer und überall so sein und agieren, wie ich wirklich bin. Das ist mein Anspruch an mich und auch an die Menschen in meinem Leben. Das heißt natürlich nicht, dass ich meine Launen, die ich schon spüre, bevor sie überhaupt zu Tage kommen, immer und überall auslebe, nein, aber ich mache endlich mal etwas, was nicht jedem Recht ist. Z. B. habe ich kürzlich eine Party nach einer knappen Stunde verlassen, weil ich sie einfach unglaublich schlecht fand und ich dachte, dass Schlafen sinnvoller sei. Auch wenn Freunde dann blöd aus der Wäsche schauen und manche das unhöflich und voreingenommen finden, ich gehe trotzdem, weil ich es will. Und solche Entscheidungen sind dann immer richtig.
Auch höre ich mittlerweile auf, Smalltalk zu halten, wenn ich keine Lust dazu habe. Manch einer mag das als arrogant abstempeln, aber wem bringt es etwas, sich an einem Gespräch unter vier Augen zu beteiligen, an dem sich – Hand aufs Herz – keines der vier Augen eigentlich beteiligen will?

Übrigens hilft es sehr, Menschen um sich zu haben, die aus vollem Herzen zu sich selbst stehen und sich in keinem Zwiespalt mit der eigenen Persönlichkeit befinden. So kann man schnell entscheiden, ob man sie mag oder nicht, anstatt immer wieder die Meinung revidieren zu müssen, weil die eigentliche Person irgendwie nie vor einen tritt.

Mein Rat ist es, bei diesem Thema immer auf Mama zu hören, denn die kennt ihr Kind am besten, lange bevor das Kind es selbst tut. Und sich auf Liebe einlassen. Die holt alles aus einem heraus, was es da so gibt: Lachen. Weinen. Urängste. Launen. Bedürfnisse. Glück. Sehnsucht. Leben. Die geht tiefer, als jeder Tiefspüler, und wenn man durchgespült wurde, steht man selbstbewusster und liebevoller sich selbst gegenüber. Dann kann man sich anlächeln und zuzwinkern mit den Worten: Man kennt sich.

© Ani 2012

Samstag, 27. Oktober 2012

Jenseits von Afrika


Ich sitze in einem alten Mercedes-Benz-Taxi, welches so aussieht, als sei es weder vom genannten Unternehmen hergestellt, noch überhaupt in diesem Jahrhundert auf die Welt gekommen.
Das Schöne daran ist, dass ich diese dezent gefährliche Fahrt nicht mit Beinfreiheit krönen kann, sondern sie mit fünf weiteren Touristen und dem äußerst kompetenten Fahrer mit Hundeblick teilen darf. Dass man auf der Autobahn angehalten wird, weil man unangeschnallt ist, jedoch ein sogenanntes Grand Taxi erst dann losfährt, wenn vorne drei und hinten vier Menschen sitzen (Gurte nicht einmal vorhanden), ist eventuell etwas widersprüchlich. Knappe 10 Stunden Fahrt liegen vor mir, die Freude des Anderen neben mir hält sich in Grenzen, seine Magen-Darm-Grippe eher nicht.

Ja, ich hätte es besser wissen müssen. Marokko war schon 2010 nicht mein Land gewesen, hatten doch mein damaliger Freund und ich in der Medina von Rabat endgültig beschlossen, uns zu trennen.
2012 ist zwar die Liebe auf meiner Seite, das Land eher weniger. Wo soll ich anfangen?

Die Auswahl unserer Erfahrungen ist groß. Gestartet waren wir zu zweit in Marrakech – sehr chaotisch, weil statt klimatisiertem Mittelklasseauto uns ein Gefährt erwartete, das beim Anblick schon auseinanderfiel. Die Abwicklung unseres Mietautos lief auf der Motorhaube ab, die Kreditkartendaten wurden als Kautionsersatz abgepauscht – eher belustigt als genervt stiegen wir ein und schlichen drei Stunden Richtung Westen, dem Sonnenuntergang und Essaouira entgegen, um den Anderen zu überraschen, der dort schon weilte.

Es folgte ein entspannter Tag in einem mittelalterlichen Fischerdörfchen, wo man Streitereien zwischen „Happy Cake“-Verkäufern so anzetteln kann, dass der Ausbruch eines dritten Weltkrieges nicht weit entfernt scheint. Auch wissen wir dank wichtiger Recherchen meiner Freundin, dass Strandliegenverkäufer nicht das halten, was sie optisch versprechen. Schade eigentlich.

Nachdem ich lange überlegte, den süßesten Hundewelpen der Weltzone 4 (in dieser befanden wir uns laut Handynetzbetreiber) mitzunehmen und den Abend damit verbrachte, am Set von „Game of thrones“ die Dreharbeiten zu verfolgen, ging es am nächsten Tag mit unserem Tuk-Tuk in den Norden – die wortwörtlich atemberaubende Altstadt von Fés wartete auf uns, gefolgt von Avocado-Shakes und dem nettesten Hostelbesitzer mit dem schönsten Lächeln der Zone 4, was nach erneuter Recherchearbeit leider auch hier nicht das hielt, was es vorerst versprach (an dieser Stelle möchte gesagt sein, dass der „Lonely Planet Love: Marokko“ schon in Bearbeitung ist).

Nach zwei Tagen ging es im Morgengrauen zurück nach Marrakech, Schrottschüssel abgeben und von dort aus mit dem Bus in das Atlasgebirge. Die drei Tage, an denen es in Afrika regnet, hatten wir uns anscheinend auch reserviert, und zwar für den „good price, my friend“, und so kam es, dass wir im strömenden Regen bei Nacht auf einer verlassenen Kreuzung ankamen, wo ein Taxifahrer auf uns wartete, der uns weder Gepäck abnahm, noch begrüßte. Als er Ersteres dann in einen überfluteten (keine Pfütze, my friend) Kofferraum schmeißen wollte, bin ich kurz ausgerastet und wir verfluchten ihn die komplette Fahrt lang auf deutsch. In Cascad d' Ouzoud angekommen, wurden uns folgende Dinge angepriesen: Die beste Tajine überhaupt (schmeckte nach rein gar nichts), ein Hammam, welches sich als einzelner Duschschlauch in einem leeren, gefließten Raum entpuppte und musikalische Untermalung des Abends, proudly presented by Zahnlücken-Cowboy Isham. Wir täuschten eine exorbitante Magen-Darm-Erkrankung vor und flüchteten zu Abdul, in sein kleines, aber feines Hotel, welches direkt an den Wasserfällen lag.
Daraufhin erst einmal eine Wanderung, bei der wir ab und an vom Weg abkamen. Entschieden haben wir uns dann eher doch für die Klettertour, barfuß durch Flüsse und vorbei an einer halb verwesten, uns entgegenreckenden Ziege. Abdul erklärte uns später, dass diese Schlucht normalerweise nur mit erfahrenen Bergführern bewandert werden würde und wir Großes geleistet hätten. Aha.

Der weitere Plan war, einen Tag später den Nachtbus nach Rissani, also in die Wüste, zu nehmen und was soll ich sagen, außer: Der Bus fuhr ab, jedoch ohne uns. Ein religiöses Fest, bei dem schätzungsweise alle Schafe des Landes geopfert wurden, lies Land und Leute (auch Sofas) zu den Familien reisen und hielt für uns nur den Gepäckraum des Busses als großzügiges Angebot bereit. „Die hätten uns da bestimmt was reingebaut“, meinte der Andere wehmütig, während der Bus abfuhr und ich ihn mit bösen Blicken und Tränen in den Augen strafte. So blieb uns nur die Option, die ganze Nacht in einem kalten, stehenden Bus zu schlafen, weil der Nächste erst wieder um 5h morgens fuhr und alle Hotels überfüllt waren (das Schaffest, ich verstehe).

Nach dieser weiteren Odysee kamen wir fix und fertig in Merzouga an, ein Camp vor den Toren der Sahara, wo leider die größte finanzielle Abzocke des Urlaubs auf uns wartete. Zuerst aber ritten wir auf Dromedaren in die Dünen, überwältigt von der Wüstenschönheit konnte ich auch kurz die unglaublichen Schmerzen verdrängen, die so ein Ritt mit sich bringt.
Dort verbrachten wir den Abend mit zwei weiteren Touristen, darunter Anthony, dessen staubtrockener (siehe Wüste), britischer Humor ein großes Highlight der letzten Tage für mich war.
Als wir nachts im Beduinenzelt Zeugen einer sexuellen Belästigung einer Mitreisenden wurden, packten wir am nächsten Tag unsere Sachen und ritten zurück zum Camp. Zwei Stunden lagen vor uns, in denen wir ernsthaft darüber debattieren mussten, dass nach so einem Vorfall nur eine Lösung für uns in Frage kam: Geld zurück, und zwar alles, auch, weil wir am Abend in der Sahara noch von den Engländern erfahren hatten, wie viel mehr wir bezahlt hatten für weniger, als tatsächlich geleistet wurde. Dass eine Amerikanerin, die wir kurz danach noch kennenlernten, das 6-fache von unserem Preis für die Hälfte des zeitlichen Aufenthalts löhnen musste, brachte das Fass zum Überlaufen und für mich war Polen offen – auch in der Wüste.
Das Ende vom Lied: Nur das Geld der Mitreisenden fand seinen Weg zurück in ihren Geldbeutel, plus eine Taxifahrt nach Marrakech hatten wir bezahlt bekommen – der Anfang vom Ende.

Mein Fazit? Ich habe große Probleme mit Marokko, auch wenn ich mir versuche vorzustellen, dass sich dieses Land von einer besseren Seite zeigen kann.
Die Frage, die ich mir allerdings nebenher die ganze Zeit stelle, ist die: Wo sind all die Frauen, die all diese Männer auf die Welt gebracht haben? Eventuell auch mittlerweile jenseits von Afrika?

© 2012 Ani

Donnerstag, 11. Oktober 2012

Von Spülmaschinen und Zeitzonen

Ich bin echt nicht gut im Verabschieden. 


Und während ich das schreibe, frage ich mich, was das eigentlich heißt, „nicht gut sein?“ Ist es also nicht gut, wenn Sturzbäche fließen, während man sich in den Armen liegt? Eigentlich doch ein schönes Kompliment und trotzdem habe ich bei meinen emotionalen Ergüssen meistens das Gefühl, es würde mein Gegenüber noch mehr stören, als mich selbst.

Na wie auch immer. Heute habe ich den Anderen verabschiedet, es sind keine Tränen geflossen, zumindest keine, die er sehen konnte (folglich ist die Existenz derer absolut unklar), denn ab dem Zeitpunkt, ab dem wir merkten, welch Untergangsstimmung wir da zusammen hochbeschworen, mussten wir wieder lachen. Trotzdem machte es mich nachdenklich an vergangene Aufbruchsstimmungen und ich habe ein bisschen darüber sinniert.

Abschiede sind meist schwierig. So an sich, meine ich. Es ist doch ziemlich egal, für wie lange man „leise servus sagt“ (das wusste schon der gute Peter Alexander), in eine leere Wohnung kommt man so oder so erst mal zurück. Wenn man derjenige ist, der den Anderen verabschiedet, schwingt immer ein bisschen Wehmut mit. Unter Umständen ist man derjenige, der die Heizung zum ersten Mal in diesem Winter aufdreht, während der Andere schwitzend durch den Orient stapft. Oder man spült das Geschirr vom Vorabend und möchte die Zeit zurückdrehen, bis einem lächelnd einfällt, dass die Zeitverschiebung ihr Übriges tut und man nun tagelang vorausrennt. Nervt, braucht kein Mensch.

Vielleicht sollten sich Exemplare mit emotionalem Hintergrund (Frauen) beim Abschied sagen, dass dieses Wort nicht bestehen würde, gäbe es das Wiedersehen nicht. Nach vorne schauen, statt aufs dreckige Geschirr, Vorfreude statt Sehnsucht. Tendenziell graben wir aber viel lieber in der Vergangenheit, als in die Zukunft zu blicken, oder – Achtung, jetzt kann es unbequem werden – in der Gegenwart zu bleiben. Warum? Ist es so denn etwa einfacher?

Auch ich tue mir schwer, in dieser und in mir zu ruhen. Ich bin der Typ Mensch, der abends den nächsten Tag durchgeht, entweder, weil es mir davor graust oder ich mich immens darauf freue. Deswegen weiß ich auch jetzt schon, dass ich dreimal neu- und umpacken werde, einfach nur, weil es so Spaß macht zu wissen, dass man das Wiedersehen bald vor sich hat und die Freude darauf durch stundenlanges, äußerst sinnloses Packen ins Unermessliche treiben kann (brauche ich ein Cocktailkleid in der Wüste? Sicher ist sicher.)

Dieser gegenwärtige Abschied ist für mich eine Lektion fürs Leben. Um mir vor Augen zu halten, dass ich jemanden – und nicht nur einen Menschen – habe, dessen Abschied mir nahe geht. Dass ich das Privileg habe, darum gebeten zu werden, jemanden bis zum Abflugsteig zu begleiten. Dass ich mein leeres Bett zu schätzen weiß, eben weil ich normalerweise nicht alleine einschlafen muss oder will. Dass ich das Bild, wo die Blicke sich trafen und nichts geredet, bis das Schönste überhaupt gesagt wurde, in mir einschließe und trage. In der Gegenwart.

Das mag unglaublich kitschig klingen, vielleicht manchen zu ehrlich und zu nah. Aber ich kehre nur das Innere von uns allen nach außen, es geht uns allen doch gleich.

Und wenn ich dann daran denke, wie bei „Love actually“ die Ankunftshalle von London Heathrow gezeigt wird, wo sich Menschen aller Kulturen in den Armen liegen, dann kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als regelmäßiges Verabschieden. Weil wir wissen, dass das Wiedersehen unbezahlbar ist. 

Neuerdings praktiziere ich dieses übrigens ein bisschen emotionaler, als man es üblicherweise tut. Manche schließen die Tür auf, murmeln eine Begrüßung und geben sich allenfalls einen flüchtigen Kuss. Ich lege da jetzt eher so ein Hollywood-Ding aufs Parkett, halte den Anderen lange im Arm und rede mir ein, gerade von einem 3-wöchigen und äußerst waghalsigen Auslandsaufenthalt zurückgekommen zu sein. Hach, so ein bisschen Dramatik braucht‘s ja dann auch wieder, wenn es an räumlichen Trennungen fehlt. 
Oder für den Fall, dass man einfach an jedem Tag anerkennen will, welche Schätze man um sich hat, als immer zu erwarten, vom Leben darauf hingewiesen zu werden. Durch Abflughallen, Bahnhöfe – oder zwei dreckigen Tellern, statt einem.
© Ani 2012


Montag, 1. Oktober 2012

Darf ich vorstellen: Der Unsympath


Wir finden jemanden sympathisch, wenn wir mit ihm auf einer Wellenlänge sind. Quasi einen Gleichklang ergeben, das sagt die Psychologie.

Hört sich hochtrabend an, ist aber im Grunde total einfach. Jemand betritt einen Raum, man schaut sich den Menschen an und hat dann innerhalb von drei Sekunden entschieden, ihn zu mögen oder nicht. Nettes Lächeln und Blickkontakt schreibe ich hier mal riskant auf die Seite „sympathisch“. Derjenige hat erstmal gewonnen.

Kommt aber jemand zur Tür herein, lässt den Blick nur über dich hinweg wandern, stellt sich also nicht vor und zeigt auch sonst keinerlei Interesse, dann muss diese Person männlich und äußerst attraktiv sein, denn in allen anderen Fällen (beispielsweise weiblich und äußerst attraktiv) hat derjenige, sprich diejenige, sofort verloren und dann kann es eine Weile dauern, bis man es sich anders überlegt.

Wir sind alle voller Vorurteile und das macht es beim Kennenlernen oftmals schwierig, denn so einige unserer Zeitgenossen bauen Mauern aus Coolness um sich auf, während das, was dahinterliegt, vielleicht genau die Wellenlänge wäre, auf der man selbst reitet. Dahinterzublicken ist eine Option, zu der wir aber meist keine Lust und zu wenig Zeit haben, es gibt zu viele von ihnen.
Also hangeln wir uns an Richtlinien entlang, beispielsweise guter Humor, die Fähigkeit, dem Gegenüber zuzuhören, Gemeinsamkeiten. Deswegen lernen z. B. Raucher im Schnitt viel schneller jemanden kennen, weil es mittlerweile anerkannte Raucherpausen in Büros gibt und auch vor den Bars tümmeln sich die Leidensgenossen – man hat gemeinsame Themen (Feuer, Wetter, Zigarettenmarke) und schwupps ist die Schnittstelle gemeistert. Stellt sich dann heraus, dass das Gegenüber aber trotzdem irgendwie doof ist, kann man sich weiterhin auf Small-Talk-Niveau unterhalten (Feuer, Wetter, Zigarettenmarke) und das für sich aus der Konversation mitnehmen, was wichtig ist (Zigarette schnorren).

Über Menschen, mit denen ich nichts anfangen kann, kann ich mich wenigstens exorbitant aufregen. Z. B. saß ich neulich in der S-Bahn und unterhielt mich angeregt mit einer Freundin am Telefon, von der ich seit Monaten nichts gehört hatte, als mich ein wildfremder Mann ohne „Entschuldigung“ zu sagen oder sich zu erklären, mittendrin anspricht und unterbricht. Nachdem ich kurz geantwortet , dies aber mit einem strafenden Blick unterlegt hatte, tat er es immer wieder. Frage mich bis heute, was der an mir wohl sympathisch fand, als er sich am Ende bedankte und mit einem Lächeln ausstieg.

Was ich auch ungemein nervtötend finde, ist, wenn jemand, den ich sowieso nicht mag, dann auch noch anfängt, eine Diskussion über meine eigenen Vorlieben zu führen.
Ein zeitgenössisches Beispiel: Vor einigen Monaten habe ich aufgehört, Fleisch zu essen – aus Gründen, die ich niemandem in der heutigen Fleischkonsumzeit eigentlich erläutern müsste.
Zum Verständnis möchte ich sagen, dass meine engsten Freunde Fleischesser sind und ich weder missioniere, noch im Stillen Tofu ins Essen schnippele. Sein eigenes Essverhalten soll, darf und kann jeder für sich selbst entscheiden.
Was mich aber so unfassbar uffrescht ist, wenn sich da jetzt jemand hinstellt und so dermaßen intelligente Sätze von sich gibt, wie „Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“ (Achtung, alles lacht) oder, mein persönlicher Klassiker, „warum sollte ich auf Fleisch verzichten? Ist ja voll bescheuert!“ Da fange ich dann leider an, dezent von innen heraus zu schäumen und rot anzulaufen, denn nein, ich bin kein Übermensch und schaffe es trotzdem und nein, ich mache das nicht, weil mir langweilig ist und ich sonst nichts mit mir anzufangen weiß. Des Weiteren setze ich mich dir, du schlaues Kerlchen, auch nicht in Kambodscha am Tisch gegenüber und sage „Lass ihn dir schmecken, den kleinen Welpen. Vielleicht isst du ja heraus, dass er nur noch drei Beine hatte.“
Damit würde ich mich ja leider auf das gleiche Niveau begeben, also esse ich stillschweigend vor mich hin und wünsche mir so sehr die Eier(stöcke) zu haben, um einfach zu sagen: Es tut mir leid, aber du bist mir unsympathisch und das ist gar nicht schlimm, aber aus diesem Grunde bin ich an keinem Gespräch interessiert.

Ich gebe zu, ich bin schnell bei meiner Meinungsfindung. Und da auch ein bisschen radikal. Aber nur, weil ich das selbst oft erlebe und es ja nicht so ist, dass man diese nicht ab und an revidieren kann.
Meine Freundin wird regelmäßig auf den ersten Blick für arrogant gehalten – ein Mädchen, das keiner Fliege was zu Leide tun kann und mit ihrer Tollpatschigkeit so manches Herz zum Schmelzen bringt.
Eine andere Freundin hat mich monatelang argwöhnisch an der Schule beobachtet, sodass ich sowohl Angst vor ihr, als auch Respekt ihr gegenüber verspürte. Als wir dann zufällig ins Gespräch kamen und merkten, wie sehr wir uns mochten, schmissen wir kurze Zeit später eine Pyjamaparty.
Und wiederum eine andere Freundin trug jahrelang ihre Bibel mit sich, selbst übervolle Bars und Clubs hielten sie nicht davon ab, betrunkenen Menschen daraus vorzulesen. Auch wenn ich sie in dem Bezug für äußerst verrückt halte, so liebe und schätze ich sie dadurch umso mehr.

Was sagt uns das? Klar, es ist menschlich zu urteilen und Meinungen zu festigen, auch strahlen wir oftmals etwas aus, was wir gar nicht wollen.

Im Großen und Ganzen sollte man also natürlich dazu bereit sein, ein paar Minuten länger im Unklaren zu verweilen und sich erst dann eine Meinung zu bilden. Das ist schwer, vor allem, wenn ich schon beim Hände schütteln merke, dass das mit uns beiden nichts wird. Sorry.
Das eigentlich größte Dilemma stellt sich dann heraus, wenn der Unsympath #1 dich total nett findet und gerne mal mit dir einen Kaffee trinken gehen möchte – jetzt, wo man doch befreundet ist. Uff. Vielleicht erzähle ich ihm, ich würde nur grünen Tee schlürfen und Kaffee verschmähen?
Sollte das jetzt jemand unsympathisch finden, ist das ok.

Für Lisar, meine sympathischste Unsympathin.

© Ani 2012

Sonntag, 23. September 2012

Angsthase, Pfeffernase!


Ich verstehe das nicht.

Anders, ich verstehe sie nicht. Die Männer.

Lange Zeit habe ich eingesehen, dass wir Frauen durch die Bank komplizierter sind, als die Anderen. Schon klar, wir meinen ja, wenn wir nein sagen. Weil wir uns halt zieren und durchschaut werden möchten. Im Prinzip doch nicht so schwer. Wir können sehr launisch sein, wenn auch nur ein falsches Wort fällt, ach, es reicht schon eine Betonung, die sich um einen Halbton verirrt hat. Auch wahr: Frauen können im Sekundentakt ihre Meinung ändern und erwarten von den Männern, dass sie damit Schritt halten.

Gut ok, so ist es, das macht ja aber auch Spaß und das ganze Spiel interessant.
Aber neuerdings sind die Karten gemischt und die Männer fangen an, sich divenhaft zu benehmen. Es tut mir im Voraus um die männlichen Ausnahmen Leid, aber ich muss pauschalisieren, um das mal zu verdeutlichen, was ich gerade in großem Ausmaß beobachte.

Also, der Mann wird zur Maus. Da habe ich eine Freundin, die schier erobert wurde von einem Kerl. Er hat nicht locker gelassen, obwohl er wusste, dass sie noch so halb in einer scheiternden Beziehung steckte. Es folgten Dates, der perfekte Kuss zum perfekten Zeitpunkt (da hatte wohl jemand recherchiert) und darauffolgende Treffen, wie man sie sich vorstellt. Bilderbuchromanze.
Sie: Schweigt und genießt. Stellt keine unangenehmen Fragen, verzichtet auf Über-Emotionalität. Er: Kriegt Panik aus dem Nichts und lässt den allseits bekannten und meistverfolgten Satz des Planetens fallen - „mir geht das zu schnell.“ Huch? Moment, zurückspulen. Dem Mann geht es zu schnell, obwohl er ritterlich erobert hat, sich jeden Tag gemeldet hat und das Mädel kein einziges Mal nachhakte, was denn jetzt eigentlich das Ganze bedeute?
Tja, da kommt der Angsthase dahergehoppelt und nicht nur in dieser Geschichte, nein, auch in ganz anderen. Wir haben gelernt, keinen Druck auf Männer auszuüben, nicht loszuweinen, wenn unliebsame Sätze fallen und auch sonst lieber auf den Anruf warten und vergessen zu essen, zu trinken oder zur Arbeit zu gehen, als sich selbst zu melden. Wir halten alle Regeln ein, um dann am Ende zu hören, dass es zu schnell gehe, dass die Gefühle Angst machen würden, dass man sich so sporadisch melde, weil man sich ja sowieso schon vor dem nahenden Abschied fürchte.

Was ist denn bitte da los, wieso verkriecht sich die Männlichkeit derzeit in jeder noch so dunklen Ecke?
Natürlich gibt es Ausnahmen. Der ein oder andere von den Anderen wird jetzt laut schnauben und mit tausend Gegenbeispielen kommen, schon klar, aber die durchschnittliche Tendenz geht meiner Meinung nach zu einem Wort: Angsthasen.
Männer haben Angst vor Gefühlen, weil sie mal mit 15 Jahren von der Anneliese keinen Kuss bekommen haben und seitdem lieber vorsichtig sind und abends lieber gemütlich ein Bier mit dem Kumpel trinken, als auf Brautschau zu gehen. Männer haben Angst, sich zu binden, weil sie in dem Glauben leben, dass wir Frauen dann innerhalb der kommenden sechs Monate erwarten würden, dass Antrag, Haus und Kind folgen müssten – ohne Ausnahme und in genau der Reihenfolge.

Ich verstehe das nicht. Meine Freundinnen, die gerade diese Erfahrungen machen müssen, stehen da und fragen sich nächtelang, was sie denn ausgestrahlt haben, dass solche Geschichten immer wieder diese Wendung nehmen.

Es ist ja nicht so, dass wir diese Ängste nicht selbst kennen. Mit uns wurde z. B. schon per Skype Schluss gemacht, was definitiv mehr weh getan hat, als die Sache mit der Anneliese. Und trotzdem sagen mir aktuelle Beobachtungen immer wieder, dass Frauen in Sachen Liebe einmal mehr aufstehen. Ob wir nun allgemein mutiger sind oder wir uns evolutionsbedingt dauerhaft dazu angetrieben fühlen, den richtigen Mann zur Familiengründung zu finden, bleibt ungewiss.

Wenn man die Schlagworte „Männer Bindungsangst“ googelt, kommen 23.600 Ergebnisse, darunter Buchvorschläge (für Frauen, die einen Mann mit Bindungsangst an der Backe haben), Foreneinträge, wo man sich austauscht (Frauen, nicht Männer) und Artikel aus...? Genau, Frauenzeitschriften. Zufall?

Interessant. Ein Thema, das beide Geschlechter betrifft, aber nur von der weiblichen Seite thematisiert wird. Hat da jemand vielleicht Angst vor der Wahrheit?

Mein Anderer schaut ja neuerdings Sex and the City. Die Begründung liegt darin, dass er glaubt, mich dadurch besser verstehen zu können. Manchmal lacht er sogar und Mr. Big mag er. Klar, der hat ja sechs Staffeln lang Bindungsangst.

© Ani 2012

Freitag, 14. September 2012

Danke, du Depp!


Danke sagen ist manchmal gar nicht so einfach. Danke auch wirklich zu meinen, kann mitunter so manchen Zeitgenossen richtig nervös machen.

Für was soll ich denn bitte dankbar sein?

Jaja, das kennt man, das Leben ist gegen mich, nichts funktioniert, ich habe nur das, was ich unbedingt brauche und darüber zu reden, was ich möchte, damit fangen wir lieber gar nicht erst an. Huch, da wird aber ganz schön gemeckert, eigentlich erstaunlich, dass wir uns so oft in unseren Kopfwindungen verirren, aber trotzdem Raum zum Meckern da oben finden.

Neulich Abend saß ich da, schaute auf mein leeres Dokument auf meinem Bildschirm und versuchte angestrengt, nicht sauer zu sein, weil ich versetzt worden war. Ich versuchte das, weil sauer zu sein mir manchmal ganz gut in den Widder-Kram passt und ich aber neuerdings etwas Fabelhaftes ausprobiere: gelassen zu sein.
Jedenfalls kreisten meine Gedanken darum, dass ich versetzt worden war und sprangen dann aber immer wieder in eine kleine Hirnspalte, die ziemlich locker verkündete: na und?
Und da erinnerte ich mich an Zeiten zurück, an denen ich intensiv versuchte, meinen Abend auszufüllen, damit ich bloß nicht merken würde, wie traurig und unglücklich ich war. Weil ich wusste, dass die Tür heute Abend nicht aufgehen und jemand hineinschlüpfen würde. Also habe ich beschlossen, mich nur ein bisschen (und irgendwann gar nicht mehr) darüber aufzuregen, dass ich versetzt wurde, als mich damit auseinandersetzen zu müssen, dass überhaupt keiner nach Hause kommt.
Ist doch egal, wann und wie und überhaupt – so unterm Strich. Hauptsache ist, dass der, den du willst, irgendwann die Tür aufmacht. Weil er es will.

Wir sind schon eine anstrengende Spezies. Denn was wir Menschen unglaublich gut können, ist, die Unzufriedenheit an die Lebensumstände binnen kürzester Zeit anzupassen. Haben wir keinen Partner, wünschen wir ihn uns sehnlichst her und lassen dabei so gar nichts anbrennen. Da werden die New-Age-Bücher gewälzt und auch wird fleißig beim Universum der Traummann bestellt. Wir tanzen ums Feuer und reißen allen süßen Typen heimlich ein paar Löckchen heraus, um den Liebestrunk zu vollenden. Steht er dann vor uns, können wir es gar nicht abwarten, ihn zu verändern. Und sollte doch wirklich mal alles an dem Gegenüber passen, dann suchen wir wie die Deppen den Haken. Denn auch eine funktionierende Beziehung kann ja so un-glaub-lich schwer sein, denn dann fällt ja das Gewohnte weg, das einen so lange begleitet hatte: Misstrauen, Streitereien, Eifersucht. Schwierig, wenn man nicht vorgewarnt wird, dass man auf einmal in etwas steckt, was zu funktionieren scheint.

Suchen wir jahrelang den Traumjob, gibt es gute Gründe zu meckern. Unerfüllt zu sein und vielleicht sogar arbeitslos vor sich hinversauern, sind Zustände, die jeder als unangenehm nachvollziehen kann. Finden wir aber von heute auf morgen eine Beschäftigung, die uns vorkommt, als wäre sie für uns gemalt, quasi der Monet unter allen Seerosen, so stört uns da eben ganz schnell eine Kleinigkeit. Dass der Kaffee immer leer ist und der letzte Kollege nie Neuen aufsetzt. Dass die Trulla, äh Chefin, immer ein bisschen besser gekleidet ist, als man selbst. Jaaaa, die Kleinigkeiten machen's aus, das darf man nicht unterschätzen, denn wenn die sich summieren, dann ist schnell der Ofen aus, die Kacke am Dampfen, Polen offen oder wie auch immer das mit dem Affen heißt.

Bei mir war die letzten Tage ziemliches Chaos angesiedelt. Ich habe über diese neuen Wege meditiert, ich habe sie hin und wieder verflucht und auch aufgeschrieben, was mir alles nicht passt. Es hat sich nichts geändert. Dann habe ich versucht, das Positive daraus zu ziehen, das Chaos als Kreativität genutzt und innerhalb von zwei Tagen hatte sich das Blatt gewendet. Auf einmal boten sich mir neue Chancen und die Wege, die ich eigentlich gar nicht gehen wollte, schienen mir auf einmal wie Lichtungen, die vor mir strahlten und ich sie nur ergreifen musste.

Dankbar zu sein in einer konsumorientierten Luxusgesellschaft ist definitiv nicht das Einfachste. Darum berührt das Lächeln von Menschen in armen Ländern auch immer so sehr. Weil es ehrlich ist. Und weil es vielleicht einfacher ist, zu lachen, wenn man ganz unten ist und nach oben schauen kann, sehen kann, was es vielleicht doch noch alles zu entdecken gibt, als nach unten zu schauen und jeden Tag Angst vor der Fallhöhe zu haben: dem Verlust. Dem Versagen.

Meine Dankbarkeitsliste wächst. Manchmal muss ich mich überwinden, aufzuschreiben, dass ich sogar für große Hindernisse gerade dankbar bin. Aber rückblickend waren die großen Hindernisse in meinem Leben auch gleichzeitig die größten Chancen, aus dem auszubrechen, aus dem ich schon viel länger herauswollte, als mein Verstand es wusste. Mein Herz allerdings weiß immer im Voraus, wo es hin will. Dann kann es mit dem Danken ja doch nicht so weit her sein, das sollte ja schließlich von Herzen kommen.

Übrigens kann Dankbarkeit im Alltag auch sehr weiterhelfen und bereichern. Wenn der U-Bahn-Fahrer, der ja anscheinend grundsätzlich unzufrieden ist, eine ganze Minute zu früh aus dem Bahnhof fährt und dir, keuchend und freundlich wie eh und je, noch nett sagt, dass „das Leben eben so sei“, dann kann man sich in den 10 Minuten, in denen man auf die nächste Bahn warten muss, hinsetzen und sagen:

Danke, liebes Universum, dass du immer wieder so sau dämliche Menschen meinen Weg kreuzen lässt, damit ich 10 Minuten Zeit habe für mich und merke, wie schlau, freundlich, lebensfroh und bereichernd meine Wenigkeit für so viele Menschen ist, die gut und gerne auf mich warten und mich ein Stückchen mitnehmen.

© Ani 2012

Donnerstag, 6. September 2012

Bitte eine Sinnkrise und eine kleine Cola

Das Leben ist eine Baustelle.
Auf diesen unglaublich intelligenten, weil noch nie da gewesenen Satz, bin ich gekommen, als ich am Schreibtisch saß, aus dem Fenster schaute und auf einmal diverse Männer mit Werkzeugen in der Hand vorbeiliefen. Moment, dachte ich mir, ich wohne doch im fünften Stock. Quasi näher am Dach, als an der Straße.

Ach ja, richtig, die Bauarbeiten hatten begonnen. Während nun also gebohrt und gehämmert wird für läppische neun Wochen (plus minus, man weiß ja nie, wie es kommt im Leben), musste ich mir überlegen, entweder nicht mehr in Unterwäsche durch die Wohnung zu hüpfen oder den ganzen Tag im abgedunkelten Raum zu sitzen. Um mir für diese existenzielle Entscheidung ein bisschen Zeit zu nehmen, zog ich vorerst die Jalousien herunter. Ich war verwirrt, der Andere auch, der stemmt jetzt nämlich wieder Gewichte, denn die Bauarbeiter könnten ja oberkörperfrei und mit Cola in der Hand ihr Päuschen machen.

Ich schaue nach draußen.

Dann doch bitte das Oberteil anlassen, besten Dank, und weiter geht’s. Ach ja, wer reinguckt, der fliegt. Und zwar vom Gerüst – vielleicht sollte ich das kurz kommunizieren?

Jedenfalls haben diese netten Herren sich nicht nur mit ihren Werkzeugen in mein Hirn gebohrt, sondern auch ein paar Gedanken ins Rollen gebracht.
In allen Leben, die mir so über den Weg spazieren, wird gerade gebastelt und geheimwerkelt, was das Zeug hält. Während die Einen sich in einer Sinnkrise befinden und diese ausleben (ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll, ich glaube, ich promoviere einfach mal), rennen die Anderen davon, ihre Sinnkrise rennt keuchend hinterher (ähm, ich geh mal reisen, in Asien soll man sich mit Pilzen selbst finden können). Die Nächsten beenden im Schnelldurchlauf ihr Studium, nur um noch schneller die Stadt zu verlassen (als ob es woanders anders wäre) und dann gibt’s die, zu denen zähle ich mich gerade, die sitzen halt da und schauen aus dem Fenster und dann gucken sie in den Kühlschrank und dann öffnen sie auch mal die Tür und schauen da mal, ob was passiert. Manchmal muss man auch einfach mal warten, das ist teilweise eine gewisse Lethargie, die da gerade aus mir spricht, aber auch teilweise die pure Weisheit, jawohl.

Träumen, Schäumen, Plänen und Ideen hinterherzurennen, bringt manchmal gar nicht so viel. Das ist genauso, wie Krankheiten im Internet zu googlen. Du findest immer etwas, aber ob es das ist, was du finden wolltest, das ist die Frage. Und die Antwort dazu gibt es leider nicht bei Google, die findest du nur in dir, also abwarten und fest verwurzelt sitzen. Und atmen, das vergisst man ja auch ab und an.

Ich bin ja grundsätzlich pro Finden. Sich in sich selber oder wahlweise in jemand Anderem, wie dem auch sei, wenn man mal was gefunden hat, womit man leben kann und will, dann ist das ja wirklich was wert. Aber dieses ständige Herumwerkeln am Leben, sich schon fast selbst zerreißen, nachts nicht schlafen zu können, um dann morgens von der Baustelle des Lebens sanft wachgehämmert zu werden, das ist ja nichts auf die Dauer.

Wir. Sind. Generation. Sinnkrise. Aber Obacht, das kann ja auch was Gutes sein. Die Auswahl an Möglichkeiten ist unbegrenzt, nur bauen wir uns selbst unser kleines Gefängnis und sitzen da jetzt drin. Wir haben uns gegenseitig hochgepusht: Was ist mittlerweile ein Lebenslauf wert ohne Studium von Fächern, die sich kaum aussprechen lassen, Auslandsaufenthalt verbunden mit der Betreuung von 20 schwerst-erziehbaren Kindern, deren Sprache man nicht spricht, Praktikum im Forschungslabor inkl. Mitwirkung an der wissenschaftlichen Stagnation diverser Pharma-Unternehmen? Eben.

Ich glaube nicht an den Druck der Gesellschaft, ich glaube, der herrscht nur in einem selbst. Und da er in den meisten herrscht, herrscht er eben größtenteils in der Gesellschaft. Wir machen ihn uns selbst und dann schieben wir ihn nach draußen, weil es einfacher ist. Wäre man glücklich und zufrieden, egal, ob man seinen Job ausgezeichnet oder vielleicht nur mittelmäßig macht, dann transportiert man das nach außen, wird automatisch besser und die Gesellschaft hat einen lieb. Hört sich einfältig und naiv an, ja, das ist die Taktik von Kindern, aber wie es Kindern so geht und was deren Meinung über den Tag mit der Mareike im Kindergarten war, das muss ich jetzt nicht ausführen, oder?

Es sagt ja keiner, dass das leicht ist, zurück in die Kinderschuhe, die müssen ja erstmal wieder angepasst werden.
Die Umstände, also die Baustelle zu akzeptieren, ist höllenschwer. Ihr dann nicht den Rücken zuzuwenden, sondern auf die Ohropax zu verzichten, hinzuhören, was sie einem zu sagen hat, und dann danach sortieren, leben und weitergehen – das ist wohl die Kunst. Diejenigen, die das machen – und ich kenne Leute, die das können – die bewundere ich sehr. Mehr davon sollen es werden, am besten wir alle.

Ich schaue weiterhin aus dem Fenster und arbeite an meiner positiven Ausstrahlung (ich muss gerade sehr lachen). Aber ich arbeite dran. Im Sitzen. Und ich glaube dran.
Da, ein Bauarbeiter. Vielleicht setze ich jetzt mal ne Kanne Kaffee für die auf. Das macht sie bestimmt glücklich, verbessert mein eigenes Karma und ich bin mindestens zwei Minuten so intensiv beschäftigt, dass ich am Abend erzählen kann, welch großen Beitrag ich für die Gesellschaft heute geleistet habe.

© 2012 Ani

Donnerstag, 30. August 2012

10 Tage/ 5 Städte

Zehn Tage Roadtrip durch Deutschland inklusive einem Kurzurlaub in der Türkei gehen zu Ende. Jetzt sitze ich hier im Auto auf einem Parkplatz im hohen Norden und versuche, Revue passieren zu lassen, was da los war in den letzten Tagen.

Ich schlüpfte in so einige Rollen auf diesem Trip. Gestartet bin ich als Freundin, mit dem Auto nach Berlin, und habe mich dort wieder einmal mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass ich dieser Stadt leider herzlich wenig abgewinnen kann. Es sei denn, das große Jobangebot würde hereinflattern, in diesem Falle freunde ich mich natürlich auch mit Siedichum an, einer wohl wirklich existierenden Gemeinde in Ostdeutschland.

Von Berlin aus ging es in die Türkei, Verwandtschaftsbesuch. Und zwar nach einigen, vorangegangen Aufenthalten meinerseits in diesem Land, vor allem in einer Zeit, als ich aufgrund meines Niedlichkeitsfaktors (wo ist der eigentlich hin?) auf einem Markt gegen drei Kamele getauscht werden sollte. Verziehen habe ich das meinem Vater bis heute nicht so wirklich, daher auch hier schwarz auf weiß für alle, die es wissen wollen. Zwar habe ich mir sagen lassen, dass drei Kamele eine ordentliche Tauschpartie gewesen sein sollen, aber auch dieses Wissen kann meine Wunden nur vorübergehend notdürftig schließen.
Nun war ich also wieder einmal in diesem schönen Land, nur diesmal war alles anders. Mit Einheimischen den Alltag zu erleben, ist nun mal Gold wert. Küsse hier, Knutschereien da, man wird in die Backe gekniffen, auch mit 25, und man gehört zur Familie, auch wenn man unterm Strich ja gar nicht zur Familie gehört.
Ein Strandhäuschen am Meer, die Füße und Seele baumeln lassen, das kann schon was. Mein größtes Luxusproblem stellte wahrhaftig das Essen dar. Wir wurden dreimal am Tag nicht verwöhnt, sondern eher gemästet, alle paar Stunden erklang die glockenhelle Stimme der Babane, wir schauten uns an, dann unsere Bäuche, dann wieder in die Augen und sahen die schiere Verzweiflung des Anderen: Wie um Himmels Willen sollte man diese Massen an unfassbar gutem, türkischem Essen in sich reinstopfen, wenn man das Hungergefühl das letzte Mal in Deutschland gespürt hatte?

Egal, wir taten es einfach. Die Bäuche wuchsen prächtig auf den schätzungsweise 6. Monat an und legten sich neben uns abends ins Bettchen. Das Schicksal annehmen und akzeptieren lautet auch hier die Devise.

Weiter ging es in schöne Städtchen, in eine Großstadt, auf Märkte, wo Genuss und Ekel nah beeinander wohnten. Von Einkaufszentrum zu Einkaufszentrum wurden wir verwöhnt, verwöhnt, verwöhnt. Herr-lich, da wollte man gar nicht mehr zurück, nicht einmal angesichts dessen, dass es jeden Tag stolze 38°C gab, die uns schlichtweg verbrutzelten.

Mit unendlich vielen Klamotten, Souvenirs und noch warmem - weil frisch gemahlenem - türkischem Kaffee im Gepäck, ging es zurück nach Berlin. Nach dem turbulentesten Flug meines Lebens (atmen), wurden wir in der Hauptstadt mit angenehmen 15°C und Regen empfangen – ach ja, man freut sich eben immer, nach dem Urlaub wieder zu Hause im schönen Deutschland zu sein. Gott sei Dank wartete dort um 7Uhr morgens ein hübsches Bettchen in einer tollen WG auf uns, in das man einfach reinfallen und einschlafen konnte. Fabelhaft, diese Freunde auf dem Weg, diese Perlen am Wegesrand.

Nun war ich also Freundin, Halbverwandte, Flugbegleiterin gewesen. Was stand danach an? Ach ja, richtig. Coach und Beifahrerin auf dem Weg zu diversen Vorstellungsgesprächen. Was braucht man dafür? Ein Auto. Warum holt man dieses nicht pünktlich ab? Man weiß es nicht. Das Ende vom Lied: Wir stehen vor einer geschlossenen Autovermietungsfiliale, mit fünf Gepäckstücken und gebügelten Hemden in der Hand, mitten in Berlin. Abends. Wann und wo war nochmal das Vorstellungsgespräch? Richtig, am nächsten Morgen, ein paar läppische Kilometer entfernt.

Am Flughafen würde noch ein Auto für uns bereit stehen? Das ist ja nett, na gut, dann fahren wir doch nochmal da hin, war ja schön dort.

Imaginäre Vorstellungsgespräche auf der Autobahn Richtung Norden bei wunderschönem Sonnenuntergang können definitiv Spaß machen - meine persönliche Notiz am Rande für irgendwann. Auch, als wir an Herzsprung vorbeigefahren sind und ich dadurch an einen meiner Lieblingsromane erinnert wurde, wurde auch mir ein bisschen warm ums Herz, dachte ich doch, der Ort sei ausgedacht gewesen. Schön, dass es nicht so war.

Endstation ist noch nicht, heute Abend düst unser Vehikel noch nach Hamburg, dort schlüpfe ich in die Rolle der Cousine, mache meinen eigenen Verwandtenbesuch und freue mich, das Meer von seiner deutschen, untürkischen Seite zu sehen.

Am Ende gab es dann doch aber auch so einige Irrungen und Wirrungen, wir sind eben einfach doch in einem Alter der ausgeprägten Sturm-und-Drang-Zeit. Es entstanden Gespräche, die nur Nährboden hatten, weil man viel zu viel Zeit zum Grübeln hatte. Also fing man an, über Dinge zu philosphieren, letztendlich zu diskutieren, die im Alltag gar keinen Raum hätten. Wir aßen ohne Hunger, wir schliefen in den bequemsten Betten und manchmal auf Luftmatratzen. Auch erfuhren wir immenses Insiderwissen über Verschleißteile an U-Bahnen und wissen nun, wann man am besten schwarz fahren könne und wann man es lieber lassen sollte. Wir checkten in einem Hotel ein, was dann doch eher ein luxuriöses Hostel war, mussten für mich, weil zweite Person, auch noch extra zahlen, und wir klauten regelmäßig den Zucker auf den Tischen. Oder Nutella. Oder Marmelade. Heute morgen sogar Brot. Ich nicht, der Andere.

Nun geht’s nach Hamburg, die Perle, schön, wie die Geschichte sich schließt, wenn man bedenkt, dass die türkische Stadt auch als Perle bezeichnet wurde. Dort war übrigens beim Abschied einer der letzten Sätze, dass wenn ein Mädchen wieder mitgebracht werden würde, dann nur ich. Dann wurde in meine Richtung gedeutet. Und spätestens da schloss ich alle in mein Herz, die Perlen auf dem Weg.

© 2012 Ani