Mittwoch, 14. November 2012

Schattenspiele


Raise my hands, paint my spirit gold, bow my head, keep my heart slow“


Noch vier Stunden bis zur Sonnenfinsternis.

Zwar auf der anderen Seite der Hemisphäre, aber spüren tun wir sie wohl trotzdem.
Der Guru sagt, ich soll meine Sorgen aufschreiben, quasi der schwarzen Sonne übergeben. Schön finde ich diesen Gedanken, erinnert mich an meine Sorgenpüppchen, die immer unter meinem Kopfkissen lagen, als ich noch klein war. Und erinnert mich an meinen Traumfänger, der immer dafür da war, böse Alpträume fernzuhalten.

Um 23Uhr wird’s magisch, so heißt es. Ich musste also nicht lange überlegen, den einzigen Zug, den es zur Auswahl gab, um den Anderen wiederzusehen, zu buchen – ganz zufällig soll dieser um 23h in seinen Zielbahnhof einfahren. Zeit genug, um meine Sorgen zu sortieren, eine kleine Rangliste zu erstellen und mich gebührend von ihnen zu verabschieden.

Ganz schnell wird es ganz schön anstrengend. So voller Überraschungen und toller Ereignisse dieses Jahr war, so voller Sorgen bin ich wiedermal am Ende dessen und der Druck des bevorstehenden Jahreswechsels macht das beunruhigende Gefühl nicht einfacher.
Dazu kommt, dass ich um diese Jahreszeit immer melancholisch werde, zum Glück bin ich da nicht alleine. Am späten Nachmittag wird es dunkel und pünktlich zur Tagesschau (läuft die eigentlich noch? Muss ja Traumquoten haben) hat man das Gefühl, ins Bett gehen zu müssen – kein Wunder, dass es da an Motivation und guter Laune fehlt (ich übertreibe, um zu verdeutlichen, man weiß das ja).
Wie auch immer, ich sitze im Zug – das Sinnbild für Nachdenklichkeit und Reisen – und denke nach, während ich reise.

Was lief gut dieses Jahr? - Oh, so einiges.
Privat oder beruflich? - Du wirst es kaum glauben, aber in beiden Bereichen gab es Höhe- und Wendepunkte.
Schön, und worüber möchtest du dich dann beklagen? - Ich bin deutsch, ich muss mich beklagen.
Im Ernst? - Ich beklage mich nicht, ich bin nur überfordert. Das Jahr war nicht nur für mich sehr aufregend und jetzt muss ich das ordnen, wenn ich fröhlich unter dem Weihnachtsbaum sitzen möchte.

Welche Sorgen wollen als erste über Bord gehen? Kann ich die Großen einfach verschwinden lassen oder eventuell umbringen? Sitze ja schließlich nicht umsonst im Orient-Express.
Na gut, gehe ich das Ganze erwachsen an, dann weiß ich, dass ich mich mit allen auseinandersetzen muss, weil ich sonst nichts lerne und die Geister, die ich rief immer und immer wiederkommen. Ich weiß schon, aber einfach ist es nicht, denn mit so einigen Geistern möchte ich mich gar nicht beschäftigen. Ich habe bei ein paar Situationen das Gefühl, sie würden sich seit Jahren wiederholen, nur immer neu verpackt, sodass man manchmal viel zu spät erkennt, dass man sich schon wieder im gleichen Spiel befindet – manchmal möchte ich wirklich lieber Spieler sein, als Spielfigur. Denn wenn das Leben ein Spiel ist, dann möchte ich gewinnen.

Je länger ich nachdenke, desto größer wird mein Wunsch, mich mit allem und allen auszusöhnen, vor allem mit mir selbst. Die Selbstzweifel – man kennt sie – sind größer denn je. Warum, weiß ich gar nicht genau. Vielleicht ist selbst mein Unterbewusstsein dem Drama nicht abgeneigt und hat mir deswegen was Nettes gebaut, womit ich mich jetzt auseinandersetzen darf, muss, soll.

Sorgen machen bringt ja nix. So mal rein nüchtern betrachtet. Situationen lassen sich im Grunde nur mit positiver Einstellung lösen, sich Sorgen machen ändert nichts, im Gegenteil, man fühlt sich lediglich permanent schlecht, anstatt eventuell nur manchmal. Was bringt es uns, morgens in den Spiegel zu schauen und sich zu denken „Also, nein, dieses Gesicht wird langsam echt zum Problem.“ Oder „Sie hat das nicht explizit so gesagt, aber ich bin mir unglaublich sicher, dass sie es genauso meint und wenn sie das wirklich dann auch tut, dann kann sie was erleben und bis dahin rede ich mir zumindest jeden Tag ein, dass es so ist, wie ich es befürchte.“ Unglaublich hilfreich, ja.

Also, Sorgen ade. Selbstbewusstsein und Positivismus, hello, my new best friends! Or soon to be maybe. Ich arbeite dran.

Im Laufe meiner äußerst verschlungenen Gedankengänge merke ich auch, dass ich Menschen vermisse, die mein Leben verlassen haben, vielleicht nur vorübergehend, aber zumindest sind sie gerade weg und ich frage mich, was sie gerade tun, wo sie sind und ob sie dort glücklich sind. Viel zu gerne würde ich mit ihnen reden, am liebsten würde ich sie an einem magischen Ort treffen, wo man sich begegnet, innehält und redet, damit das Vermissen ein bisschen gestillt ist – aber alles hat wohl seine Zeit und seinen Sinn. Also warte ich ab und versuche, mir weniger Sorgen zu machen.

Und richte den Fokus auf mein Ziel. Das Ziel, das ich in drei Stunden erreichen werde. Das Ziel, welches ich nächstes Jahr im April endlich erreichen möchte. Das Ziel, das ich vor 30 erreichen möchte. Das Ziel, das ich nicht erreichen möchte, weil es immer da sein soll – Glück. Ab jetzt und mehr davon. Los.

Noch drei Stunden bis zur Sonnenfinsternis. Ich zücke meinen Stift.

Für die beste Band der Welt, meine persönliche Sonnenfinsternis.

© Ani 2012

Dienstag, 6. November 2012

Unter zwei Augen


Ja genau, auf hochdeutsch nennt man das Selbst-be-frie-di-gung. […] Das ist das, was die deutschen Frauen am meisten machen. […] Bei uns darf man das auch machen, aber die Deutschen betreiben es am meisten.“

Huch. Die orientalisch aussehende Dame in der U-Bahn kannte sich ja immens aus und das Tolle war, dass sie beschloss, ihr großartiges Wissen zu teilen – vor allem mit den deutschen, um sie herum sitzenden Frauen.

Authentisch sein in allen Situationen. Das war das Erste, was mir eingefallen war, als meine Freundin von dieser Situation erzählte und wir Tränen lachten. Für mich war die nette Ausländerin wirklich in erster Linie authentisch, denn entweder war es ihr – auf gut deutsch, haha – scheißegal, was die anderen U-Bahnfahrer/innen über sie dachten oder sie wollte bewusst ihre Meinung teilen und ein Zeichen setzen – so oder so, Selbstbewusstsein hat die Gute.

Kind, egal, was passiert, sei authentisch. Das ist das Beste, was dir und Anderen passieren kann.“ Ein Rat, den mir meine Mutter schon gab, als ich nervös vor dem Kleiderschrank herumtänzelte, weil wiedermal eins dieser allseits bekannten, ersten Dates anstand. Und auch heute noch schickt sie mich mit diesen Worten an neue Drehorte und zu Vorstellungsgesprächen.

Mama hat immer Recht, genauso wie Oma, die das ja auch schon Mama geraten hatte. Also versuche ich es natürlich immer umzusetzen. Authentisch zu sein ist schwierig, wenn man aufgeregt ist, wenn man alleine einer ganzen, schon längst eingeschweißten Crew entgegentritt oder wenn man hofft, dass das bevorstehende Date sich endlich mal nicht als „Endstation Sehnsucht“ entpuppt.
Es ist ja dann letztendlich auch wirklich eine Gratwanderung, denn was fällt überhaupt unter diesen Begriff? Heißt es, dass ich von vorne herein Klartext sprechen kann, also dass ich z. B. meinem Gegenüber besser gleich erzähle, dass ich an verregneten Sonntagen „Die drei ???“ höre, mir ab und an um 6 Uhr morgens die Augenbrauen zupfe und jeden Tag mit mir Konversationen (teilweise vor dem Spiegel) führe? Wohl eher abschreckend, jetzt, wo ich das so geballt lese. Aber ja, so bin ich, zumindest der wahrhaftige Teil.

Ich glaube ja, dass die meisten von uns so viele Facetten an sich haben, dass sie bei verschiedenen Leuten auch selbst immer ein bisschen anders sind. Zwar bleibt der Kern stets gleich, aber man passt sich doch schnell an: Wird in einer Runde ein Thema diskutiert, von dem man keine Ahnung hat, sitzt man tendenziell eher ruhig dabei und hört zu, während man beim neuesten Klatsch und Tratsch kaum die Klappe zubekommt. Ganz schnell bekommen die Leute um einen herum ein ganz anderes Bild, als die engsten Freunde es haben. Ist man nun trotzdem in beiden Fällen authentisch und wann fängt man an, sich zu verstellen – ohne es zu merken?

Die Dame in der U-Bahn hätte sicherlich auch noch fröhlich ausgeplaudert, wie sie selbst zum Thema Selbstbefriedigung stehe, man hätte sie wohl nur fragen müssen. Vielleicht hätte sie eine kostenlose Infobroschüre gleich dabei gehabt – herrlich, je länger ich über sie nachdenke, desto beeindruckender finde ich sie. Ganz gleich, ob sie mir sympathisch ist oder nicht, sie verstellt sich nicht, ich glaube sogar, ihr würde der Gedanke nicht einmal kommen.

Ich bin eher Typ Ich-möchte-es-allen-rechtmachen. Am Drehort setze ich mich manchmal zu den Komparsen dazu, nur, um nicht irgendjemanden mit Fragen nach dem Aufenthaltsraum zu nerven. Wenn ich dann vergeblich gesucht werde, habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich auf den Hasen meiner besten Freundin aufpasse, bete ich immer leise, dass er nicht stirbt, denn das könnte ich mir nie verzeihen, nicht mal, wenn er einfach nur einschlafen würde. Und wenn Omi 80 Jahre alt wird, dann fahre ich schon mal 600km für 24 Stunden, um dann direkt danach weitere 800km zu fahren, weil ich umziehe. Ja, diese Art und Weise kann anstrengend sein, aber im Allgemeinen fahre ich damit sehr gut, es sei denn, ich halte zu lange meinen Mund, wenn mir etwas nicht passt, und schäume dann über, was zwar unter „authentischer Ausbruch meinerseits“ fällt, aber nicht unbedingt sein muss.

Ich möchte immer und überall so sein und agieren, wie ich wirklich bin. Das ist mein Anspruch an mich und auch an die Menschen in meinem Leben. Das heißt natürlich nicht, dass ich meine Launen, die ich schon spüre, bevor sie überhaupt zu Tage kommen, immer und überall auslebe, nein, aber ich mache endlich mal etwas, was nicht jedem Recht ist. Z. B. habe ich kürzlich eine Party nach einer knappen Stunde verlassen, weil ich sie einfach unglaublich schlecht fand und ich dachte, dass Schlafen sinnvoller sei. Auch wenn Freunde dann blöd aus der Wäsche schauen und manche das unhöflich und voreingenommen finden, ich gehe trotzdem, weil ich es will. Und solche Entscheidungen sind dann immer richtig.
Auch höre ich mittlerweile auf, Smalltalk zu halten, wenn ich keine Lust dazu habe. Manch einer mag das als arrogant abstempeln, aber wem bringt es etwas, sich an einem Gespräch unter vier Augen zu beteiligen, an dem sich – Hand aufs Herz – keines der vier Augen eigentlich beteiligen will?

Übrigens hilft es sehr, Menschen um sich zu haben, die aus vollem Herzen zu sich selbst stehen und sich in keinem Zwiespalt mit der eigenen Persönlichkeit befinden. So kann man schnell entscheiden, ob man sie mag oder nicht, anstatt immer wieder die Meinung revidieren zu müssen, weil die eigentliche Person irgendwie nie vor einen tritt.

Mein Rat ist es, bei diesem Thema immer auf Mama zu hören, denn die kennt ihr Kind am besten, lange bevor das Kind es selbst tut. Und sich auf Liebe einlassen. Die holt alles aus einem heraus, was es da so gibt: Lachen. Weinen. Urängste. Launen. Bedürfnisse. Glück. Sehnsucht. Leben. Die geht tiefer, als jeder Tiefspüler, und wenn man durchgespült wurde, steht man selbstbewusster und liebevoller sich selbst gegenüber. Dann kann man sich anlächeln und zuzwinkern mit den Worten: Man kennt sich.

© Ani 2012