Donnerstag, 30. August 2012

10 Tage/ 5 Städte

Zehn Tage Roadtrip durch Deutschland inklusive einem Kurzurlaub in der Türkei gehen zu Ende. Jetzt sitze ich hier im Auto auf einem Parkplatz im hohen Norden und versuche, Revue passieren zu lassen, was da los war in den letzten Tagen.

Ich schlüpfte in so einige Rollen auf diesem Trip. Gestartet bin ich als Freundin, mit dem Auto nach Berlin, und habe mich dort wieder einmal mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass ich dieser Stadt leider herzlich wenig abgewinnen kann. Es sei denn, das große Jobangebot würde hereinflattern, in diesem Falle freunde ich mich natürlich auch mit Siedichum an, einer wohl wirklich existierenden Gemeinde in Ostdeutschland.

Von Berlin aus ging es in die Türkei, Verwandtschaftsbesuch. Und zwar nach einigen, vorangegangen Aufenthalten meinerseits in diesem Land, vor allem in einer Zeit, als ich aufgrund meines Niedlichkeitsfaktors (wo ist der eigentlich hin?) auf einem Markt gegen drei Kamele getauscht werden sollte. Verziehen habe ich das meinem Vater bis heute nicht so wirklich, daher auch hier schwarz auf weiß für alle, die es wissen wollen. Zwar habe ich mir sagen lassen, dass drei Kamele eine ordentliche Tauschpartie gewesen sein sollen, aber auch dieses Wissen kann meine Wunden nur vorübergehend notdürftig schließen.
Nun war ich also wieder einmal in diesem schönen Land, nur diesmal war alles anders. Mit Einheimischen den Alltag zu erleben, ist nun mal Gold wert. Küsse hier, Knutschereien da, man wird in die Backe gekniffen, auch mit 25, und man gehört zur Familie, auch wenn man unterm Strich ja gar nicht zur Familie gehört.
Ein Strandhäuschen am Meer, die Füße und Seele baumeln lassen, das kann schon was. Mein größtes Luxusproblem stellte wahrhaftig das Essen dar. Wir wurden dreimal am Tag nicht verwöhnt, sondern eher gemästet, alle paar Stunden erklang die glockenhelle Stimme der Babane, wir schauten uns an, dann unsere Bäuche, dann wieder in die Augen und sahen die schiere Verzweiflung des Anderen: Wie um Himmels Willen sollte man diese Massen an unfassbar gutem, türkischem Essen in sich reinstopfen, wenn man das Hungergefühl das letzte Mal in Deutschland gespürt hatte?

Egal, wir taten es einfach. Die Bäuche wuchsen prächtig auf den schätzungsweise 6. Monat an und legten sich neben uns abends ins Bettchen. Das Schicksal annehmen und akzeptieren lautet auch hier die Devise.

Weiter ging es in schöne Städtchen, in eine Großstadt, auf Märkte, wo Genuss und Ekel nah beeinander wohnten. Von Einkaufszentrum zu Einkaufszentrum wurden wir verwöhnt, verwöhnt, verwöhnt. Herr-lich, da wollte man gar nicht mehr zurück, nicht einmal angesichts dessen, dass es jeden Tag stolze 38°C gab, die uns schlichtweg verbrutzelten.

Mit unendlich vielen Klamotten, Souvenirs und noch warmem - weil frisch gemahlenem - türkischem Kaffee im Gepäck, ging es zurück nach Berlin. Nach dem turbulentesten Flug meines Lebens (atmen), wurden wir in der Hauptstadt mit angenehmen 15°C und Regen empfangen – ach ja, man freut sich eben immer, nach dem Urlaub wieder zu Hause im schönen Deutschland zu sein. Gott sei Dank wartete dort um 7Uhr morgens ein hübsches Bettchen in einer tollen WG auf uns, in das man einfach reinfallen und einschlafen konnte. Fabelhaft, diese Freunde auf dem Weg, diese Perlen am Wegesrand.

Nun war ich also Freundin, Halbverwandte, Flugbegleiterin gewesen. Was stand danach an? Ach ja, richtig. Coach und Beifahrerin auf dem Weg zu diversen Vorstellungsgesprächen. Was braucht man dafür? Ein Auto. Warum holt man dieses nicht pünktlich ab? Man weiß es nicht. Das Ende vom Lied: Wir stehen vor einer geschlossenen Autovermietungsfiliale, mit fünf Gepäckstücken und gebügelten Hemden in der Hand, mitten in Berlin. Abends. Wann und wo war nochmal das Vorstellungsgespräch? Richtig, am nächsten Morgen, ein paar läppische Kilometer entfernt.

Am Flughafen würde noch ein Auto für uns bereit stehen? Das ist ja nett, na gut, dann fahren wir doch nochmal da hin, war ja schön dort.

Imaginäre Vorstellungsgespräche auf der Autobahn Richtung Norden bei wunderschönem Sonnenuntergang können definitiv Spaß machen - meine persönliche Notiz am Rande für irgendwann. Auch, als wir an Herzsprung vorbeigefahren sind und ich dadurch an einen meiner Lieblingsromane erinnert wurde, wurde auch mir ein bisschen warm ums Herz, dachte ich doch, der Ort sei ausgedacht gewesen. Schön, dass es nicht so war.

Endstation ist noch nicht, heute Abend düst unser Vehikel noch nach Hamburg, dort schlüpfe ich in die Rolle der Cousine, mache meinen eigenen Verwandtenbesuch und freue mich, das Meer von seiner deutschen, untürkischen Seite zu sehen.

Am Ende gab es dann doch aber auch so einige Irrungen und Wirrungen, wir sind eben einfach doch in einem Alter der ausgeprägten Sturm-und-Drang-Zeit. Es entstanden Gespräche, die nur Nährboden hatten, weil man viel zu viel Zeit zum Grübeln hatte. Also fing man an, über Dinge zu philosphieren, letztendlich zu diskutieren, die im Alltag gar keinen Raum hätten. Wir aßen ohne Hunger, wir schliefen in den bequemsten Betten und manchmal auf Luftmatratzen. Auch erfuhren wir immenses Insiderwissen über Verschleißteile an U-Bahnen und wissen nun, wann man am besten schwarz fahren könne und wann man es lieber lassen sollte. Wir checkten in einem Hotel ein, was dann doch eher ein luxuriöses Hostel war, mussten für mich, weil zweite Person, auch noch extra zahlen, und wir klauten regelmäßig den Zucker auf den Tischen. Oder Nutella. Oder Marmelade. Heute morgen sogar Brot. Ich nicht, der Andere.

Nun geht’s nach Hamburg, die Perle, schön, wie die Geschichte sich schließt, wenn man bedenkt, dass die türkische Stadt auch als Perle bezeichnet wurde. Dort war übrigens beim Abschied einer der letzten Sätze, dass wenn ein Mädchen wieder mitgebracht werden würde, dann nur ich. Dann wurde in meine Richtung gedeutet. Und spätestens da schloss ich alle in mein Herz, die Perlen auf dem Weg.

© 2012 Ani

Montag, 20. August 2012

Ich habe heute leider keine Meinung für dich

Große Klappe, viel dahinter.

So manch einer erfüllt das ganz gut. Es gibt Menschen, die sind, wie sie sind und zwar immer. Egal, ob sie schwitzend im Anzug einen Vortrag halten müssen oder mit Freunden am Tisch sitzen und ein Bierchen trinken – sie haben immer die gleichen Witze und Anekdoten parat, tragen das Herz auf der Zunge und sind allseits beliebt – zumindest bei denen, die ehrliche Kritik vertragen können.

Und dann gibt es die Leute, die nicht nur verschiedene Outfits, sondern verschiedene Charaktere tragen. Manche dieser Gattung passen sich einfach so unglaublich gut an, dass man am Ende des Abends gar nicht bemerkt hatte, ob derjenige nun anwesend war oder nicht. Das sind Leute, die sich fortbewegen wie Amöben – schleichend und anpassend, die können in jede Ritze kriechen oder sich an Ecken und Kanten anschmiegen.
Faszinierend, wie sie wohl morgens vor dem Kleiderschrank stehen und sich überlegen, ob sie heute eher sportiv, modisch oder doch casual in den Tag starten – taddaa, ist das Outfit erstmal angelegt, da zieht der Charakter nach, die Amöbe startet in den Tag und jedem, dem sie begegnet, ist sie sympathisch – klar, sie stimmt ja meist überein, ist unkompliziert und wenn's Zeit wird, dann schleicht sie sich davon.

Es gibt neben den Amöben aber auch noch die stillen Wasser und es gibt, wie wir ja sowieso wissen, die lauten Wasser. Das ist ziemlich einfach gesagt und sehr pauschalisierend, ich weiß, ich weiß.
Die Basis dieser Lebenseinstellungen ist natürlich eine Frage des Charakters, aber ich wage zu behaupten, dass mit wachsendem Selbstbewusstsein auch eine deutlichere Meinung zum Ausdruck kommt. Klar, diejenigen, die am meisten rumnörgern und bei den anderen Menschen immer gleich den wunden Punkt suchen, finden und drin herumpieken, bis es jeden im Umfeld genauso schmerzt, haben einfach keine Eier(stöcke) und wollen sich nur davon überzeugen, dass ihr Gegenüber auch keine besitzt.

Also ja, wir alle kennen diese Ausnahmen, aber im Grunde ist es doch so: Jemand, der in einer Gruppe zu seiner Meinung steht, ist oftmals das Alpha-Tierchen. Derjenige wird angehört, man respektiert ihn und lässt das Gesagte oftmals nachschwingen, weil es einfach so präsent ist.
Die stillen Wasser haben oftmals genauso interessante Ansichten, doch dauert es viel länger, diese zu erfahren, bei manchen schafft man es nie, bis auf den Grund zu kommen. Schade, denn meistens verbergen sich in den Tiefen solcher Menschen die größten Schätze. Ein stilles Wasser kann faszinierend sein, aber wenn man eben am Ende des Tages immer noch nicht den Mund aufkriegt, schwindet ganz schnell das Interesse und man hält sich wieder an diejenigen, die einen leiten, selbst wenn sie es manchmal gar nicht bemerken.

So läuft es dann auch oftmals mit Entscheidungen ab. Während die ruhigeren, in sich gekehrten Gattungen vieles mit sich selbst ausmachen, ausharren, Pro-und Contra-Listen schreiben, ist der Mensch mit dem Herz auf der Zunge doch meist ein Schnelldenker, der letztendlich mit dem Bauch entscheidet, weil ihn das viele Abwägen zu sehr quält und dadurch nichts vorwärts geht.

Es ist wirklich schwer zu entscheiden, wann man wie reagieren sollte. Ist es immer sinnvoll, komplett authentisch zu sein, auch wenn man in dem Moment jemand Anderem auf die Füße tritt, dafür aber ein paar Lacher und Schenkelklopfer einheimst? Oder ist es durchaus angebracht, auch einfach mal die Klappe zu halten und erstmal zu sinnieren?

Ein treffendes Beispiel aus meinem eigenen Repertoire: Eines Abends in einer dunklen, schummrigen, zwielichten Bar (ich übertreibe), kam ein Typ daher, atmete tief ein und setzte zu seinem unglaublich galanten Anmachspruch an. Bevor er den Satz beendet hatte, sagte ich laut – jedoch mit einem Augenzwinkern - „Nein“, was die arme Amöbe so sehr verunsicherte, dass sie schleunigst von dannen zog. Kurze Zeit später pirschte der junge Herr sich wieder an, um mich darauf hinzuweisen, dass meine Art und Weise verletzend sei. Ich entgegnete daraufhin, dass das Nein ein Spaß war und er wohl keine Eier hätte (aha!), wenn ihn so ein kleines Wörtchen davon abhielt, mich weiterhin anzusprechen. Daraufhin ging die Amöbe in sich und stimmte kleinlaut zu.
Ich gebe zu, dass ich kurz überlegt hatte, ob das zu fies gewesen war, aber im Endeffekt war ich eine Frau und er ein Mann und während wir Frauen so manche Schwachstellen in der Evolution meistern mussten (und das immer noch tun), wollte ich erwarten, dass so ein Kerl auch mal die Chance bekommt, etwas zu lernen. Und seinen Beitrag zur verkorksten Paarungswelt leisten kann.
Abgesehen davon: Aus uns hätte nie etwas werden können. Dann lieber gleich den Bauch entscheiden und das Herz auf der Zunge sprechen lassen.

Jeder ist anders, keine Frage, und ich habe so manches stille Wasser in meinem Umfeld, was mich immer wieder erstaunt, wenn es dann auf einmal einen kleinen Einblick gibt und etwas sagt, was so unglaublich klug, überdacht und außergewöhnlich ist, dass ich diesen Menschen unbedingt um mich haben möchte, egal, wie lange es dauert, bis man wiedermal auf den Grund sehen kann. Diese stillen Wasser sind ja nicht automatisch Amöben und die Amöben sind nicht automatisch stille Wasser. Eine ziemliche Arbeit leisten allerdings beide, denn während das Wässerchen lange standhält, bis es etwas preisgeben möchte, schmiegt sich die Amöbe immer wieder neu an, passt sich an, verformt sich und hat in jeder Sekunde eine passende Meinung parat – nämlich meist deine Eigene.

Bleibt nur noch die Frage offen, ob die Amöbe letztendlich wirklich einen eigenen Standpunkt vertritt, aber das weiß wohl nur sie oder eventuell ihre Amöbenfreundin – es sei denn, sie stimmen überein, dass sie dies nicht wissen.

© 2012 Ani

Dienstag, 7. August 2012

Von Gegensätzen und Elefanten an falschen Plätzen

Ziehen sich Gegensätze wirklich an und wenn ja, wie weit kann man voneinander entfernt sein, um sich anzuziehen? Reicht es, nebeneinander zu sitzen? Oder erkennt man erst den Wert des Anderen, wenn er kilometerweit weg ist?

Die Einen sagen, Gegensätze ziehen sich an. Die Anderen sagen, dass man genügend Schnittfläche – also Gemeinsamkeiten – braucht, damit eine Beziehung funktioniert. Ich schwanke immer hin und her, so wirklich entscheiden kann ich mich noch nicht, vielleicht ist es ja eine Mischung? Eine Mischung aus Gegensatz und Gleichheit.

Der Partner meiner Freundin ist doppelt so alt, wie sie selbst. Reicht das, um Gegensatz zu sein oder ist das vielleicht sogar schon zu viel? Wenn ich anfange, beim Mädelsstammtisch herumzufragen und versuche, Meinungen über Themen einzuholen, dann stelle ich immer fest, dass jede meiner Freundinnnen die Dinge anders sieht. Und manchmal verwundert es mich ein bisschen, sind wir doch eigentlich uns allen so nah, so vertraut, so ähnlich in vielen Dingen - und dann doch wieder nicht?
Auf einmal stand ich da, im Kreise von tollen Frauen, von denen jede etwas Kluges von sich gab, etwas, womit ich teilweise gar nichts anfangen konnte und dann trotzdem merkte, dass es überlegte Worte waren, geprägt von Erfahrungen und Meinungsbildung.

Gegensätzlich zu sein, kann eine ziemlich heiße Angelegenheit darstellen. Es erzeugt Reibung und Spannung, doch es kann schnell passieren, dass die Vulkane überbrodeln und der Punkt kommt, an dem man auf einmal zu weit voneinander entfernt ist, um sich anzuziehen.

Und dann gibt es auch noch den Gegensatz zum Gegensatz: die Gleichheit, man kann sie auch Harmonie nennen. Zwei Menschen finden zueinander und funktionieren. Sie können unterschiedliche Interessen haben, aber die Schnittstelle am Ende des Tages, die ist sehr groß. Und dann? Während man sich darin einnistet, in diese Fast-Perfektion, hält das Leben einen Gegenpol bereit. Zumindest meistens, das Leben kann's halt. Wie folgt:

Als ich in schierer Überdrehtheit (Cuba Libre) vor mich hin sang (tüdelü), gedankenverloren (… meine Ohrringe sind so schwer) und pur glücklich, traf mich eine Nachricht, eine Neuigkeit, eine Veränderung, die mich schlagartig auf den Boden des Erwachsenseins zurückholte.
Ich atmete, hörte zu, sagte kaum was, sondern beobachtete, was die einfallenden Daten mit mir machten, mit meinem Verstand, meinem Köper, letztendlich vor allem mit meinem Herzen. Und dann fragte ich mich auch, wie ich noch vor zwei Jahren auf die gleiche Situation reagiert hätte... oder, wie meine Freundinnen darauf reagieren würden.
Bin ich im Gegensatz zu dem Menschen gegenüber zu emotional? Kann er mich verstehen, auch wenn er mich eventuell nicht verstehen kann? Wie sehr kann ich mich freuen, dass die Schnittstelle von uns beiden so groß ist, dass man den Elefanten, der auf einmal im Raum steht, realisieren und greifen kann?
Der Elefant im Raum ist nämlich das beste Beispiel für eine Tatsache, die auf einmal da ist, unausweichlich und so groß, sodass man sie kaum übersehen kann, es aber versucht. Fail. Also muss man ihn gemeinsam betrachten und überlegen, wie man das Tier nun wieder dahin schafft, wo es hingehört.

Es ist schwierig zu sagen, Beziehungen würden von Gegensätzen leben. Oder, im anderen Fall, davon, dass man im harmonischen Miteinander über alles sprechen könne. Im Grunde sind wir ja alle verschieden. Es kommt nur darauf an, inwiefern man bereit ist, sowohl Gegenpol, als auch Harmonie als Geschenk zu sehen. Am Einen zu wachsen, am Anderen zu ruhen.

Einer guten Freundin habe ich heute gesagt, dass ich ihr wünsche, sie werde glücklich - egal wo. Und das "egal wo" war gar nicht so einfach, weil wir ziemlich unterschiedlich sind und auch noch weit auseinander wohnen, was mir manchmal so gar nicht passt. Aber wenn man sich bewusst macht, dass wir alle doch nur glücklich sein wollen, dann ist da schon mal eine ziemlich große Schnittstelle - selbst, wenn man sich dazu trennen muss.
Ich habe die Hoffnung (seufz) und das Vertrauen (ja!), dass es möglich ist, gemeinsam verschiedene Wege zu gehen - und sich dabei durchgehend anzuziehen.

© Ani 2012

Donnerstag, 2. August 2012

Einmal nach Hause, bitte, danke

I ran away in floods of shame
I’ll never tell how close I came
As I crossed the hollow road
Well you went left and I went right
As the moon hung proud and bright
You would have loved it here tonight

But I'll be home, in a little while, lover I'll be home
(Home – Mumford and Sons)

Wo gehn wir denn hin?
Immer nach Hause.

Diese beiden Sätze habe ich mal auf einer Postkarte gelesen. Ich habe sie eingesteckt und bei mir an den Kühlschrank gehängt.

Im Notfall gehen wir immer nach Hause. Oder wenn die Party scheiße war und wir die legendäre Hose gefunden haben. Auch, wenn die Party gut war, aber leider einfach nun Schicht im Schacht ist (weil die Anderen ihre Hosen suchen). Wenn der Urlaub vorbei ist. Wenn der Arbeitstag hinter uns liegt.

Was ist mit denen, die kein Zuhause haben? Oder die, die eins haben, aber ein Anderes suchen? Wann erkennen die, dass das Zuhause in ihnen drinnen ist?

Wir ziehen bei Anderen ein und wieder aus. Sowohl in Wohngemeinschaften, wie auch in Herzen. Ich bin bis jetzt zweimal umgezogen, einmal vom Land in die Stadt und dann vom hässlichsten Stadtteil in den Schönsten. Von der WG ausgezogen, rein ins kleine, eigene Nest.

Nach Hause. Schon E.T. wollte nach Hause, auch wenn das Telefonat erstmal gereicht hätte. Die meisten telefonieren ja leider nicht mal da hin, wo sie eigentlich herkommen und im Herzen auch sein sollten. Mit sich selbst telefonieren, ja, sich einfach mal wieder anrufen und fragen, wie es so läuft, das wäre doch mal was. Wir skypen, wir telefonieren, wir schreiben SMS ans andere Ende der Welt, nur um mit Menschen in Kontakt zu treten, von denen wir uns erhoffen, sie würden mit uns ein kleines Häuschen im Grünen bauen. Dabei vergessen wir so oft, dass die Leitung zu uns selbst weder kostenpflichtig ist, noch rauscht oder belegt ist. Und trotzdem rufen wir da nie an. Oder, vorsicht, fahren da mal hin. Seltsam ist das doch.

Mein 1-Zimmer-Apartement ist eine Übergangswohnung, denn ich liebe und hasse sie gleichzeitig. Sie ist im Sommer eine Sauna, im Winter ein Tiefkühlschrank. Sie ist viel zu klein für mein Prinzessinnen-Dasein, also befinden sich derzeit meine Winterklamotten im Kellerabteil und wenn der Herbst kommt, wird auch bei mir saisonal gewechselt. Ich wohne quasi in meiner Küche oder, auch schön, meine Küche wohnt in meinem Schlafzimmer, so oder so, wir rücken uns regelmäßig auf die Pelle.
Die Vorteile sind allerdings, dass ich nie länger als 3,576 Sekunden zum Kühlschrank brauche – in äußersten Notsituationen geht es sogar noch schneller. Ich liebe meine Dachschrägen, die Helligkeit, Fanny - mein Stuhl aus dem Antiquitätenladen - und den fabelhaften Ausblick, nicht zuletzt auf eine der schönsten Kirchen der Stadt.
Trotzdem weiß ich, dass ich auch hier meine kleinen Zelte mal abbrechen und ausziehen werde. Wohin? Keine Ahnung. Aber deswegen sind diese Übergangswohnungen ja auch derzeit das sogenannte „Daheim“, während „Zuhause“ das ist, was man immer mit sich herumträgt. Und ständig wo liegen lässt, sodass man es suchen muss.

Home is where the heart is. Ja, heute werden die Weisheiten ausgepackt, rette sich, wer kann. Nur wo ist es denn, das Herzl? Wenn man lange vor ihm wegläuft, dann fängt das halt auch irgendwann an, sich zu verstecken und dann beginnt die Schnitzeljagd und Home ist auf einmal irgendwie ziemlich weit weg. Könnte quasi auf einmal ein Ferngespräch werden.

Ausziehen, einziehen, umziehen. Witzigerweise kann man das ja alles auch metaphorisch sehen. Wenn du in eine WG einziehst, nimmst du ziemlich viel mit und lässt grundsätzlich was zurück. In meinem Fall zum Beispiel meine alten Lattenroste, die immer noch das Kellerabteil genauso versperren, wie vor zwei Jahren. Nur, dass da mittlerweile keiner mehr wohnt, den ich kenne. Naja, man markiert halt gerne die Reviere, in denen man residierte. Andere lassen auch was zurück. Nicht nur in den Wohnungen, sondern auch in den Herzen. Freunde und Partner, die du mal reingelassen hast, bleiben entweder dort oder lassen was zurück. Dann ist es deine Entscheidung, ob du wiedermal dein Zuhause entrümpeln solltest oder nicht.

Fakt ist, dass das Zuhause immer mit im Gepäck ist, daher lieber mal besser drauf aufpassen, bevor man es verliert. Solange man nicht weiß, wo man irgendwann mal einziehen möchte, und mit wem oder doch vielleicht besser alleine, kann man ja ein bisschen rumexperimentieren.

Z. B. sagen die Surfer in Venice Beach: Home is where the waves are. Na da, es scheint wohl überall immer ein bisschen Heimat zu finden sein.

© Ani 2012