Dienstag, 6. November 2012

Unter zwei Augen


Ja genau, auf hochdeutsch nennt man das Selbst-be-frie-di-gung. […] Das ist das, was die deutschen Frauen am meisten machen. […] Bei uns darf man das auch machen, aber die Deutschen betreiben es am meisten.“

Huch. Die orientalisch aussehende Dame in der U-Bahn kannte sich ja immens aus und das Tolle war, dass sie beschloss, ihr großartiges Wissen zu teilen – vor allem mit den deutschen, um sie herum sitzenden Frauen.

Authentisch sein in allen Situationen. Das war das Erste, was mir eingefallen war, als meine Freundin von dieser Situation erzählte und wir Tränen lachten. Für mich war die nette Ausländerin wirklich in erster Linie authentisch, denn entweder war es ihr – auf gut deutsch, haha – scheißegal, was die anderen U-Bahnfahrer/innen über sie dachten oder sie wollte bewusst ihre Meinung teilen und ein Zeichen setzen – so oder so, Selbstbewusstsein hat die Gute.

Kind, egal, was passiert, sei authentisch. Das ist das Beste, was dir und Anderen passieren kann.“ Ein Rat, den mir meine Mutter schon gab, als ich nervös vor dem Kleiderschrank herumtänzelte, weil wiedermal eins dieser allseits bekannten, ersten Dates anstand. Und auch heute noch schickt sie mich mit diesen Worten an neue Drehorte und zu Vorstellungsgesprächen.

Mama hat immer Recht, genauso wie Oma, die das ja auch schon Mama geraten hatte. Also versuche ich es natürlich immer umzusetzen. Authentisch zu sein ist schwierig, wenn man aufgeregt ist, wenn man alleine einer ganzen, schon längst eingeschweißten Crew entgegentritt oder wenn man hofft, dass das bevorstehende Date sich endlich mal nicht als „Endstation Sehnsucht“ entpuppt.
Es ist ja dann letztendlich auch wirklich eine Gratwanderung, denn was fällt überhaupt unter diesen Begriff? Heißt es, dass ich von vorne herein Klartext sprechen kann, also dass ich z. B. meinem Gegenüber besser gleich erzähle, dass ich an verregneten Sonntagen „Die drei ???“ höre, mir ab und an um 6 Uhr morgens die Augenbrauen zupfe und jeden Tag mit mir Konversationen (teilweise vor dem Spiegel) führe? Wohl eher abschreckend, jetzt, wo ich das so geballt lese. Aber ja, so bin ich, zumindest der wahrhaftige Teil.

Ich glaube ja, dass die meisten von uns so viele Facetten an sich haben, dass sie bei verschiedenen Leuten auch selbst immer ein bisschen anders sind. Zwar bleibt der Kern stets gleich, aber man passt sich doch schnell an: Wird in einer Runde ein Thema diskutiert, von dem man keine Ahnung hat, sitzt man tendenziell eher ruhig dabei und hört zu, während man beim neuesten Klatsch und Tratsch kaum die Klappe zubekommt. Ganz schnell bekommen die Leute um einen herum ein ganz anderes Bild, als die engsten Freunde es haben. Ist man nun trotzdem in beiden Fällen authentisch und wann fängt man an, sich zu verstellen – ohne es zu merken?

Die Dame in der U-Bahn hätte sicherlich auch noch fröhlich ausgeplaudert, wie sie selbst zum Thema Selbstbefriedigung stehe, man hätte sie wohl nur fragen müssen. Vielleicht hätte sie eine kostenlose Infobroschüre gleich dabei gehabt – herrlich, je länger ich über sie nachdenke, desto beeindruckender finde ich sie. Ganz gleich, ob sie mir sympathisch ist oder nicht, sie verstellt sich nicht, ich glaube sogar, ihr würde der Gedanke nicht einmal kommen.

Ich bin eher Typ Ich-möchte-es-allen-rechtmachen. Am Drehort setze ich mich manchmal zu den Komparsen dazu, nur, um nicht irgendjemanden mit Fragen nach dem Aufenthaltsraum zu nerven. Wenn ich dann vergeblich gesucht werde, habe ich ein schlechtes Gewissen. Wenn ich auf den Hasen meiner besten Freundin aufpasse, bete ich immer leise, dass er nicht stirbt, denn das könnte ich mir nie verzeihen, nicht mal, wenn er einfach nur einschlafen würde. Und wenn Omi 80 Jahre alt wird, dann fahre ich schon mal 600km für 24 Stunden, um dann direkt danach weitere 800km zu fahren, weil ich umziehe. Ja, diese Art und Weise kann anstrengend sein, aber im Allgemeinen fahre ich damit sehr gut, es sei denn, ich halte zu lange meinen Mund, wenn mir etwas nicht passt, und schäume dann über, was zwar unter „authentischer Ausbruch meinerseits“ fällt, aber nicht unbedingt sein muss.

Ich möchte immer und überall so sein und agieren, wie ich wirklich bin. Das ist mein Anspruch an mich und auch an die Menschen in meinem Leben. Das heißt natürlich nicht, dass ich meine Launen, die ich schon spüre, bevor sie überhaupt zu Tage kommen, immer und überall auslebe, nein, aber ich mache endlich mal etwas, was nicht jedem Recht ist. Z. B. habe ich kürzlich eine Party nach einer knappen Stunde verlassen, weil ich sie einfach unglaublich schlecht fand und ich dachte, dass Schlafen sinnvoller sei. Auch wenn Freunde dann blöd aus der Wäsche schauen und manche das unhöflich und voreingenommen finden, ich gehe trotzdem, weil ich es will. Und solche Entscheidungen sind dann immer richtig.
Auch höre ich mittlerweile auf, Smalltalk zu halten, wenn ich keine Lust dazu habe. Manch einer mag das als arrogant abstempeln, aber wem bringt es etwas, sich an einem Gespräch unter vier Augen zu beteiligen, an dem sich – Hand aufs Herz – keines der vier Augen eigentlich beteiligen will?

Übrigens hilft es sehr, Menschen um sich zu haben, die aus vollem Herzen zu sich selbst stehen und sich in keinem Zwiespalt mit der eigenen Persönlichkeit befinden. So kann man schnell entscheiden, ob man sie mag oder nicht, anstatt immer wieder die Meinung revidieren zu müssen, weil die eigentliche Person irgendwie nie vor einen tritt.

Mein Rat ist es, bei diesem Thema immer auf Mama zu hören, denn die kennt ihr Kind am besten, lange bevor das Kind es selbst tut. Und sich auf Liebe einlassen. Die holt alles aus einem heraus, was es da so gibt: Lachen. Weinen. Urängste. Launen. Bedürfnisse. Glück. Sehnsucht. Leben. Die geht tiefer, als jeder Tiefspüler, und wenn man durchgespült wurde, steht man selbstbewusster und liebevoller sich selbst gegenüber. Dann kann man sich anlächeln und zuzwinkern mit den Worten: Man kennt sich.

© Ani 2012

1 Kommentar:

  1. "Echt und authentisch zu sein bedeutet, Gegensätze im eigenen Wesen miteinander zu vereinbaren. Wenn wir lernen, uns selbst in wachsendem Maß zu akzeptieren, bis es nichts mehr in uns gibt, dessen wir uns schämen und das wir zu verbergen suchen, gewinnt unser Dasein jene Großzügigkeit und Wärme, die alle wahrhaft liebenden Menschen auszeichnet. – Anziehend ist, wer sich mit seiner innere Widersprüchlichkeit angefreundet hat."
    von Deepak Chopra
    Das wünsche ich dir und allen, die es annehmen wollen.
    Deine Mama

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