Dienstag, 27. September 2011

"Der Hacker-Schottenhamel-Komplex"

Wiesn or not Wiesn…. Eine der Fragen, die seit Tagen in meinem Kopf kreist.
Ich habe so viele unterschiedliche Meinungen über das Oktoberfest, pardon, die Wiesn, (das wäre schon mal die erste) gesammelt, dass ich mich erstmal selbst sammeln muss. Und dann hab mich gefragt:
Und was hältst eigentlich du davon?

Ich bin ja grundsätzlich gegen grundsätzliche Meinungen. Auch wenn sich das jetzt grundsätzlich widersprüchlich anhört, aber so ist es. Fast alles auf diesem kunterbunten Planeten hat Vor-und Nachteile.
Für mich ist die Wiesn einerseits ein Spielplatz, auf dem irgendwie zu viel erlaubt ist. Ein buntes Treiben, Lachen, Unbekümmertheit und auch die Falltür ins Bodenlose. Natürlich kann sie gewaltig nerven,  wenn man z. B. vorhat, von A nach B zu kommen und das innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Wenn man Slalom laufen muss, weil andere einem slalomartig entgegenwanken. Wenn man (so wie ich) jedes Jahr aufs neue eine Freundin anrufen muss, damit sie vorbeikommt und man zusammen unter einem tierischen Gewaltakt den Reißverschluss des Dirndls zubekommt. Eine größere Tracht  zu kaufen, wäre, als ob man eine weiße Flagge hisst. Dann lieber doch die Schnappatmung, Gott sei dank läuft das Bier ja auch in den Bauch und somit an der Lunge vorbei.

Ich kann mich jedenfalls an unglaublich viele, tolle Momente dort auf der Theresienwiese erinnern. Ich habe witzige Ausländer kennengelernt, bin jedes Jahr (bis auf dieses) die Achterbahn gefahren, obwohl ich unglaubliche Höhenangst habe, ich esse jedes Jahr einen Eismohr und bin glücklich, weil meine Freunde mir glücklich in den Armen liegen. Trotzdem bleiben wir – gesittetes  Münchner Völkchen - natürlich kultiviert und deshalb gibt es hier eine offizielle Liste der Dinge, die einfach inakzeptabel sind:
  •  Schulterfreie Dirndlblusen
  • Schwarze Blusen
  •  Landhausmode auf der Wiesn
  • Um 12 Uhr mittags das erste Mal auf oder unter der Bierbank liegen/sitzen.
  • Sich übergeben, danach knutschen und das Gegenüber in vorige Information nicht einbeziehen.
  • Mini-Dirndl (Dirndllänge, die über dem Knie Halt macht, meist vorgeführt von jungen, weiß-gelbblondierten Schulmädchen)
  • Pinke Hunter-Gummistiefel (!) zur Tracht   
  • Schnupftabak (…und auf einmal tun es alle, weil – auf einmal brauchen es alle! Jede der sechs Millionen Nasen bahnt sich binnen kürzester Zeit ihren Weg zum nächsten Schnupftabak) 
  • Die Wiesn hochoffiziell dissen und trotzdem mit der Clique hingehen. Dann aber nur im dezenten Look, bitteschön.
  • Weiße Netzstrümpfe in schwarzen Pumps zu bunter Tracht.
  • Lebkuchenherz (wenn es schon sein muss) mit der Aufschrift „Oktoberfest“ – ach was?
Ich war dieses Jahr (bis jetzt) nur einmal dort und es war so gut, dass ich am nächsten Morgen mit meiner Freundin an meinem Esstisch saß, wir uns über unsere Kaffeetassen hinweg anstarrten und kurze Zeit später weinend und lachend gleichzeitig mit den Köpfen auf dem Tisch lagen. Den Abend Revue passieren zu lassen und die fehlenden Puzzleteile dank aufmerksamer Begleiter zusammen zu basteln, ist fast so schön, wie der Abend selbst.

Ich  freue mich jedes Jahr auf den Beginn des Volksfestes und genauso jauchze ich, wenn es wieder vorbei ist. Jedes Jahr stehe ich mindestens ein Mal gegen 19:30h auf der Bierbank und singe, nein, schreie zu Robbie Williams „Angels“ und nichts wird mich je davon abhalten, nicht mal peinliche Fotos oder Kommentare.
Ach ja. Wenn die Münchner sich mal zwei Wochen im Jahr gehen lassen, dann kann man das doch gar nicht verurteilen. Das Festlein ist eine kleine, schillernde Momentaufnahme. Das schönste daran ist wohl, dass alles sehr schnell passiert und man daher mit dem Verstand nicht hinterherkommt. Das nennt man übrigens den Wiesn-Modus und Mann bzw. Frau befindet sich übrigens darin, wenn sie innerhalb kürzester Zeit vom Schunkeln zum Küssen übergehen. Herr-lich.
Wiesn – i mog di. Aber nach zwei Wochen bist „guad weida!“
© 2011 Ani

Donnerstag, 15. September 2011

Present = Gift

Nachts schließe ich die Tür auf, schlüpfe auf Zehenspitzen hinein und ermahne mich dabei, bloß leise zu sein, um meinen Hund nicht zu wecken, weil sie sonst schwanzwedelnd und vor Freude bellend über den glatten Holzboden fetzt, auf mich zu stürmt und damit das ganze Haus aufweckt. So, wie immer halt. Und dann merke ich, genau in dem Moment, in dem ich die Wohnung betrete, dass sie nie wieder auf mich zurasen wird, mit ihrer unglaublichen Fröhlichkeit.
So wie’s halt immer war.

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er leidet wie ein Hund – wie passend – , wenn sich Dinge verändern. Er klammert sich an alltägliche Abläufe, weil er Angst hat vor Veränderung, vor Verlust und vor allem vor dem Loslassen.
Loslassen – wie oft wird dieses Thema in meinem Freundeskreis debattiert. Wann ist es Zeit, Dinge oder Menschen zu verlassen? Oder, andersrum: wie lange kann man sich Zeit lassen, festzuhalten, obwohl schon längst alles der Vergangenheit angehört? In dieser zu leben ist das beste Beispiel für Kontraproduktivität, das wissen wir alle, aber wieviele leben wirklich in der Gegenwart?

In einer der besten Serien, die jemals über den Bildschirm stolziert ist, wird festgelegt, dass man genau die Hälfte der Zeit, in der man in einer Beziehung war, zur Trauer benötigen kann... darf... vielleicht sogar muss. Interessant, dachte ich mir, und fing unweigerlich an, an meinen Fingern die Monate meiner eigenen Trauer abzuzählen, bis ich beschloss, dass knapp drei Jahre Trauer dann doch mehr als verschwendete Zeit wären. Ein neuer Plan musste her.
„Ich plane nie, wozu auch?“, ein Satz, der mich schon seit langer Zeit beeindruckt und den ich versuche zu leben und zwar jeden Tag. Wir werden heutzutage von Weisheiten erschlagen und sollten anfangen, unsere eigenen zu kreieren, sind wir doch schon lange genug hier, um mal ein bisschen schlauer geworden zu sein.
Bist du schlauer geworden? Oder baust du immer noch den gleichen Mist?

Ich glaube, wenn man sich mit dem Lauf des Lebens beschäftigt, kommt man auch besser damit klar, dass es einfach so ist, wie es ist und man seine Zeit nicht dafür hernehmen sollte, die Vergangenheit ändern zu wollen. Vorwürfe zu machen für Entscheidungen, die längst gefallen sind. Und uns meist immer an einen Punkt gebracht haben, der letztendlich dann doch der richtige war. Aha-Effekt? Aber sowas von.

Loslassen – das Zauberwort des Glücklich-Seins. Wenn man sich mal anschaut, wieviele in alten Beziehungen stecken und keinem anderen eine neue Chance geben können. Wenn man sich mal überlegt, wo oft man nicht aus seiner eigenen Haut kann, obwohl man doch so sehr möchte. Ich habe einen Freund, der öffentlich für seine Meinung eintritt und alle anderen kritisiert, die genau das leben, was er eigentlich möchte. Tragisch, diese Maskerade, denn sie trägt ihn gerade nur in die Einsamkeit.

Ich weiß nicht, ob es etwas schwierigeres gibt, als das zu akzeptieren, was man nicht akzeptieren will. Wenn man sich mit allen Mitteln dagegen wehrt und lieber mit seiner Lieblingsdecke auf dem kalten Boden nächtigt, weil man nicht weiß, wie man jetzt auch noch aufstehen soll.

Seitdem ich angefangen habe, ganz genaue Vorstellungen in meinem Kopf zu haben, aber damit klarzukommen, dass ich auch über Umwege ans Ziel kommen kann, fliegen mir die Dinge zu und ich laufe dauergrinsend durch den Spätsommer.
Let go. – Das ist 'ne komplette Lebenseinstellung. Heißt ja nicht, dass man nicht ein bisschen weinerlich sein darf. Oder jammern darf. Aber es muss ja nicht jeder mitbekommen, mal abgesehen vom inner circle. Das Gute daran ist ja, dass nicht nur schöne Momente vorbeiziehen, sondern, dass jede Trauer auch ein Ende hat, bzw. sich verformt und man lernt, damit zu leben und trotzdem glücklich zu sein.
Eugène Ionesco hat mal gesagt: „Die Zukunft ist unser Hemd, aber die Gegenwart ist unsere Haut.“
Genialer Satz. Ich kann der Gegenwart nie entfliehen - besser ist es - aber ich kann entscheiden, wie die Zukunft aussehen soll. Und dann ziehe ich sie mir einfach an.
© 2011 Ani

Sonntag, 4. September 2011

Wie ich versuche, meine Luxusprobleme aufzuessen und daran nicht zu ersticken

In Zeiten wie diesen und in einem Land wie diesem, habe ich oft das Gefühl, dass wir uns selbst umso mehr einschränken, je mehr Möglichkeiten wir bekommen. Das ist wie im Drogerie-Markt. Gäbe es nur zehn verschiedene Deo-Düfte, anstatt gefühlte zehntausend, würden wir alle (statistisch gesehen) öfter mal gleich riechen, könnten aber die Zeit, in der wir ratlos vor dem Regal stehen, sinnvoller nutzen.

Aber die aktuelle Gesellschaft hat sich dagegen entschieden. Wir können alles tun, alles ausprobieren, wir dürfen sein, wer wir wollen. Heute Mann, morgen Frau und solange wir es nicht wissen, können wir auch was dazwischen sein. Der einzige, der uns dabei im Wege steht, sind wir selbst und nur wir, denn alles andere ist überwindbar, ersetzbar, unnötig, Luft, Luft, Luft!

Wir können aus der Tür gehen und brauchen vor nichts Angst zu haben. Wir können nachts in den Pommesbuden dieser Stadt und unseres Vertrauens einkehren, weil sie immer offen haben. Meistens jedenfalls. Wir dürfen uns im Sommerkleidchen auf den dreckigen Asphalt setzen und uns gut dabei fühlen.  Wir dürfen auf offener Straße ein Bier in der Hand halten, ohne es intelligenterweise in einer Papiertüte verschwinden lassen zu müssen.
Wir dürfen studieren, wissen aber nicht was und wenn wir fertig sind, fragen wir uns auch, ob es das richtige war. Wir zählen am Ende des Geldes die restlichen Tage des Monats, aber irgendwie schaffen wir es doch immer wieder, auch mit zwei Jobs glücklich zu sein. Jung zu sein und das Leben zu genießen, weil es einfach so unfassbar lebenswert ist.
Wir wollen spontan verreisen und finden nicht zufällig den mysteriösen, rettenden Geldkoffer im Kofferraum unseres nicht vorhandenen Autos? Schwupps, da gibt es Billigflieger, deren Angebote günstiger sind als die Anreise zum Flughafen.
Irgendwie haben wir es immer wieder geschafft. Und je länger ich darüber nachdenke, merke ich, dass das, was mich manchmal traurig und gar unzufrieden macht, nur die Ungeduld ist, dass das letzte Fünkchen halt doch noch nicht passt. I.C.H. bin mein einziges Hindernis.

Können wir uns komplett so annehmen,wie wir sind oder schämen wir uns vor Niederlagen, Schwächen, Macken? Verheimlichen wir bewusst Fakten über uns? Werden wir von heute auf morgen Sushi-Liebhaber, weil es halt so unausweglich hip und modern ist? 

Ich habe ja eine Schwäche für 80er Jahre Musik, was manchmal anerkennend gewürdigt, aber meist peinlich berührt abgewiesen wird. Ich schaffe die große Schokokränze-Packung made by Netto und mir wird dabei leider einfach nicht schlecht, jedenfalls nicht so richtig. Meine High-Heels stehen neben meinen Chucks, in meinem Schrank hängen teure Fummel neben ausgeleierten Leggins und ich frage mich so oft, wer davon ich bin, anstatt zuzulassen, dass ich halt beides bin.
Ich habe eine Tätowierung, gar nicht mal so klein, neige aber trotzdem dazu, sie zu vergessen und überlege ständig, mich mal tätowieren zu lassen. Ich rede zu schnell und denke in lebensbedrohlichen Situationen zu langsam - das nehme ich zumindest an. Ich kritisiere, obwohl ich während meiner Argumentation merke, dass ich eigentlich zustimme. Und natürlich würde ich es nie zugeben. Ich besitze sowohl Kassetten von Benjamin Blümchen, als auch von Bibi Blocksberg und diskutiere immer noch gerne mit anderen Fans beider Parteien, weil ich mich einfach nicht für eine Seite entscheiden will.

Hui, krasse Sache, so ein tolles Leben und trotzdem ist ja nach zwei Gläsern Wein alles blöd, man redet über die Liebe und wie sie nicht funktioniert, selbst wenn sie funktioniert.
Oder man hat Angst vor der Zukunft, wobei ich mich ja immer frage, wovor man da immer Angst hat, schließlich ist die Zukunft ein Zeitpunkt, der niemals eintritt. Kannste noch so sehr versuchen, die klopft nicht nachts an deiner Tür, also mal was riskieren, man wird sich ja doch nicht begegnen.

Als ich mal vor knapp zwei Jahren eine schier unbeschreiblich tolle Nachricht bekam, bin ich wie eine Verrückte durch die halbe Stadt gelaufen, ich hab jeden angestrahlt und als ich auf dem Marienplatz ankam, stand da ein Mädchen. Sie hatte ein „Free Hug“ Schild um den Hals, also ging ich auf sie zu und wir haben uns umarmt. Sowas. Das ist es einfach. Davon will ich mehr und ich nehme mir es auch. Ich werde weiterhin nachts barfuß nach Hause laufen, weil ich es überleben werde, wenn ich in eine Scherbe trete. Ich werde weiterhin auf dem kalten Boden sitzen und Eis essen, weil ich in meinem ganzen Leben noch keine Blasenentzündung hatte und die doofe Oma endlich mal klar kommen soll. Und jetzt alle im Chor: I am a king of my own! Har Har Har!
(c) 2011 Ani