Donnerstag, 17. Januar 2013

Das Müsli-Experiment


An Weihnachten habe ich meine Uhr bei meinen Eltern liegen gelassen. Da könnte man jetzt hineininterpretieren, dass ich mich unbedingt entschleunigen, will, muss, sollte, könnte... oder, dass sie mir einfach nicht mehr gefällt. Es ist eine goldene Casio-Uhr, Neuauflage der 80er-Jahre-Version. Ich hatte sie vor über zwei Jahren gekauft, als sie KEINER trug und mag sie nicht mehr so sehr, seitdem sie wirklich JEDER hat. Abgesehen davon, habe ich eigentlich gerne eine Uhr am Handgelenk, denn ich bin ein überaus wissbegieriger Mensch, wenn es um die aktuelle Uhrzeit geht. Und sie ist ein unumstrittenes Hilfsmittel im Kampf gegen die Unpünktlichkeit. Denn ich möchte sowohl im Moment leben als auch pünktlich sein!

Trotzdem. Ich bin dieser Tage sehr rastlos und das liegt nicht (nur) am neuen Jahr, sondern war auch schon die Wochen vorher so. Ich komme kaum zum Meditieren (das war gelogen, ich meditiere gerade gar nicht) und das letzte Mal Joggen an der Isar habe ich noch durchgezogen, als es so etwas wie Sonnenschein gab. Obwohl das für mich lange Zeit ein richtiges Ritual darstellte, um abzuschalten und für mich zu sein. Rennen für die Entschleunigung – klingt komisch, hat aber immer wunderbar funktioniert. Zurückgekommen von der Tour bin ich immer als fast neuer Mensch voller Motivation, Tatendrang und guter Laune. Eine mittelgroße Schande soll mich überkommen, angesichts dessen, dass ich mir dieser Tatsachen bewusst bin und sie nicht genügen, um mich bei meinem derzeitigen Aufenthalt in Hamburg dazu zu bewegen (Wortwitz), um die Alster zu joggen.

Ich muss mich anderweitig entschleunigen, mich wenigstens sekundenweise dazu zwingen. Wenn ich es schon nicht schaffe, großartige Dinge derzeit zu leisten  - für mich, meine ich – dann müssen kleine Schrittchen her. Angefangen habe ich damit, morgens mein Müsli zu futtern, dabei Kaffee zu schlürfen und – und? Nichts weiter. Oha, das ist so unglaublich schwer am Anfang. An die Wand gucken. Oder aus dem zweiten Stock, wo es nichts zu sehen gibt, außer der Reklame gegenüber. Augen schließen ist leider auch keine Option.
Etwas zu tun, was einem nicht leicht fällt, und das auch noch über einen längeren Zeitraum hinweg, kann einen schon ein bisschen stolz machen. Egal, wie kinderleicht es für andere scheint – oder meinetwegen sinnlos.

Kleine Schritte können ganz groß werden, schon klar. Aber irgendwie sehne ich mich nach mehr. Und Meer. Ich möchte wiedermal komplett aus dem Alltag aussteigen und lernen, wie es auch anders gehen kann. Ohne Uhrzeit, ohne Pünktlichkeit, ohne Zwänge, ohne gesellschaftliche Verpflichtungen und Knigge. Nicht dass ich mich an Letztere halten würde, aber beeinflusst wird man ja sehr in dieser westlichen Welt – wenn man nicht will, grenzt das schon fast an eine Rebellion. Also zieht es mich im März gen Osten, da hin, wo ich schon seit zwei Jahren hin möchte. Immer wieder kam etwas dazwischen, immer wieder hatte ich niemanden, der mich begleiten wollte, also lies ich die Chance wieder und wieder vorbeiziehen - somit auch die Zeit - und harrte es aus, das Warten auf ein Zeichen von oben. Aber jetzt ist es so weit.
Ich möchte mich entschleunigen, im wohl chaotischsten Straßenverkehr der Welt, weil ich mir sicher bin, es da am besten lernen zu können. Barfuß in den schönsten Tempeln, beim Meditieren zum Sonnenaufgang und am Sandstrand mit Kokosmilch. Direkt aus der Nuss, nicht aus der Verpackung. Ja, man gönnt sich ja sonst nichts und schließlich ist das ein wichtiges Vorhaben für mein Seelenheil.

Am Abend vor meinem Geburtstag werde ich zurück sein und ich hoffe, dass ich alle Eindrücke ins neue Lebensjahr mitnehmen kann. Um die Gelassenheit, die mal mindestens mein fünfter Vorname war, auch hier wieder zu haben. Ohne viel dafür tun zu müssen, schließlich würde ich gerne alle paar Wochen so lange verreisen, bis ich es schaffe, für mich still zu stehen und angekommen zu sein. Aber ich finde es auf Dauer zu einfach, das mit "Urlaub" herzustellen. Sich überschütten zu lassen mit fremden Eindrücken zeugt nicht gerade von einer kreativen Lösung. Deshalb meine kleinen Lösungen vor Ort und bis dahin, wie eben beispielsweise mein Müsli-Experiment.

Und wieso sind gerade so viele ruhelos? Ist die Antwort einfach nur, weil das alte Jahr noch nicht abgeschlossen ist und das neue Jahr noch komplett unklar? So erklärte es zumindest kürzlich eine Stresstherapeutin. Weil wir uns so schwer tun, gelassen zu sein, wenn der Terminkalender noch leer ist, und wir aber gleichzeitig doch so viele Herzenswünsche und Vorsätze mit uns tragen? Es ist schwer, Gelassenheit zu üben, wenn man quasi auch noch dazu verdonnert wird. Weil eben alles noch so in der Schwebe hängt. Vielleicht hilft es ja, sich zu sagen, dass das neue Jahr nur leer ist, weil wir es dazu gemacht haben. Gäbe es kein neues Jahr, gäbe es auch keine Deadline vorher und somit würden wir uns wahrscheinlich eher in einer Endlosschleife befinden. Ob die allerdings be- oder entschleunigen würde, kann ich so jetzt auch nicht adhoc sagen.

Gelassen bin ich persönlich, wenn alles reibungslos funktioniert. In allen anderen Fällen nicht. Oft bin ich hibbelig, zumindest im Kopf, denn bis in die Füße reicht es derzeit ja leider nicht. Ich bin zum Beispiel einer der Menschen, die regelmäßig mit anderen zusammenstoßen, weil ich SMS schreibe, während ich laufe. Warum? Weil ich ein schlechtes Gewissen kriege, wenn ich eine Nachricht gelesen habe, aber nicht antworte. Oder aber die Shuffle-Funktion meines Handys befriedigt mich nicht schnell genug und ich klicke minutenlang weiter, anstatt die Lieder einfach anzuhören. 


Ein alter Schulfreund und wunderbarer Musiker singt dazu: 


"Völlig gleich, wie oft du auf die Uhr schaust, es bleibt jetzt. Egal, wie du dich hetzt. (...) Keine Sorge, es tut dir nichts, wenn du es ignorierst. Und einfach nur passierst." (Spacemann Spiff - Ab heute immer jetzt)

Ich möchte eine Balance finden. 
Die Großstadt, in der ich mich verlieren kann, wenn ich möchte. Meditieren, damit ich Antworten finde auf Fragen, die mir die Großstadt stellt. 
Hummeln im Hintern, wenn ich sie brauche, um weiterzukommen. Gelassenheit, wenn ich im Stau stehe und mir Hummeln nur noch mehr im Weg stehen. 
Mich streiten, damit die Fetzen fliegen, aber währenddessen bei mir bleiben. Und innerlich lächeln.

Brauche ich dazu eine Uhr? Die Zeit wird es zeigen.

(c) Ani 2013


In diesem Sinne:



Mittwoch, 2. Januar 2013

Nein, ich will


Ok. Als ich über Weihnachten viele alte Freunde besucht und gleichzeitig viele neue Gesichter kennengelernt habe, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Die Mädels und Jungs fangen an zu heiraten. Oder Häuser zu bauen. Wahlweise auch beides, teilweise gleichzeitig.
Zu Gast war ich bei Bekannten, die nicht viel älter sind, als ich selbst, und gerade ein riesiges Neubauhaus in eine noch riesigere Neubausiedlung gestellt haben. Schön, relativ leer, supermodern, mit Bildschirmen in Wänden, wo ich sie nicht verstehe und tollem Kamin, der die Kombination aus Wohlfühlatmosphäre und kühlem Trend zur Geltung bringt. Hach.
Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, ich sei ein Teenager, der irgendetwas kaputt machen könnte. Und daran hatte aber weder das Haus Schuld, noch die Leute – es lag einzig und alleine an mir.

Auf der Heimfahrt habe ich überlegt, wie viele verschiedene Arten des Lebens und Zusammenlebens es gibt. Und wie man dazu neigt, sie zu pauschalisieren – und zwar in zwei Kategorien. Die Menschen, die eher ländlich wohnen, und die, die es vorerst in die Städte gezogen hat. Die meisten meiner Freunde, die dort zurückgeblieben sind, wo ich aufgewachsen bin, befinden sich in oben genannten Angelegenheiten im absoluten Schnelldurchlauf. Ausbildung, Zusammenziehen, Heiratsantrag, Haus bauen, inklusive leerem Zimmer als Alibi-Arbeitsbereich. Ich frage mich, wie und wann die das in der Zeit hinbekommen haben, während ich mit meiner besten Freundin über unglaublich lausige Dates gelästert habe und immer wieder weitschweifend darüber nachdachte, was ich denn jetzt mit meinem Leben so anstellen solle.
Die Menschen, die ich in der Stadt kennengelernt habe, Menschen mit ähnlichen Lebensvorstellungen wie ich, die bewohnen noch WGs oder kleine Apartments, in denen die Küche neben dem Bett ist. Sie sind entweder Langzeit-Singles oder befinden sich in Beziehungen, die sie allerdings nicht daran hindern, ordentlich feiern zu gehen oder Auslandspläne zu schmieden. Und wenn sie das Wort Baby hören, kriegen die meisten einen Hustenanfall. Alles ein bisschen chaotisch, alles ein bisschen ohne roten Faden – vielleicht gerade deswegen gefällt es mir so sehr.

Vor einigen Jahren habe ich im Schaufenster eines kleinen spanischen Designerladens ein Brautkleid im Schaufenster gesehen. Ich habe mich auf der Stelle unsterblich verliebt und es abfotografiert. Seitdem habe ich es vielen Leuten gezeigt, vor allem Männern, die potenzielle Heiratskandidaten waren. Ich dachte, wenn sie es schaffen, sich ein Brautkleid anzusehen ohne wegzurennen, dann könnte es was Ernstes werden. Jedenfalls fanden es alle meine Freundinnen wunderschön, die Männer jedoch hatten immer etwas daran auszusetzen. Mir ist das egal, das Kleid wurde ohne Zweifel nur für mich geschneidert (ironischerweise ist es mir in dieser Boutique übrigens aufgefallen, als meine damalige Beziehung in Trümmern lag).

Ich selbst sehe mich als emotionale Planerin – ich möchte immer verliebt, überrascht und neugierig sein, jedoch den Rahmen des Ganzen spanne ich. Zum Beispiel wusste ich schon immer ganz genau, wie so ein perfekter Antrag auszusehen hat, aber würde ich ihn vorher schon wittern und somit nicht überwältigt sein, würde ich ihn wohl trotzig ablehnen und erwarten, dass das Ganze nochmal neu geplant werden würde. Auch auf den Ring soll meine beste Freundin gerne im Vorfeld einen Blick werfen.
Aber, um ehrlich zu sein, all das sage ich nur, weil mir noch kein Antrag gemacht wurde. Weil ich nicht weiß, wie es sich anfühlen muss, wenn sich der Mensch, den man liebt, allen Mut zusammennimmt und fragt, ob man den Rest des Lebens mit ihm verbringen will. Weil man sich so einen Zauber in der heutigen Schnelllebigkeit kaum vorstellen kann. Denn irgendeiner wettert immer dagegen, kommt mit Scheidungsstatistiken, ansteigenden Zahlen von Eheberatern, der finanziellen Unsumme einer Scheidung und so weiter.

Eine Bekannte kam kürzlich in den Genuss eines Antrages. Und auch wenn dieser aus einem Missverständnis und Aufregung heraus total schief gelaufen war, so war ich dennoch unglaublich gerührt, als ich davon gehört hatte. Denn was ja eigentlich und nur zählt, ist das Versprechen, welches sich beide gegeben haben. Egal, ob es vielleicht irgendwann gebrochen wird. Wir sind alle nur Menschen, wir können die Zukunft nicht sehen und wir können auch nicht beeinflussen, ob sich Menschen verändern. Aber wir können zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas wollen. Uns sicher sein. Es versuchen und versprechen. Für unser Gegenüber und für uns selbst.

Tendenziell werden wir aber immer älter, bis wir solche Schritte wagen. Ich kann das gut nachvollziehen. Weil ich noch so viel vorhabe, was mit Familie nicht möglich ist. Oder vielleicht, weil ich noch ein bisschen auf mich selbst aufpassen möchte, bevor ich wirklich Verantwortung für andere übernehmen will. Aber im Grunde sprechen wir hier von den Dingen des Lebens, für die wir doch alle leben. Am Ende des Tages wird kaum einer Nein sagen zum Häuschen im Grünen, mit Hund im Garten, Bio-Eiern und netten Nachbarn.

Doch muss man dazu heiraten? Ich frage das, weil es in meinem Bekanntenkreis häufig diskutiert wird. Muss man sich also auf einmal wieder mit der Kirche anfreunden, nur, weil man mit charmanten Vorstellungen eines solchen Tages aufgewachsen ist? Wird deswegen das Heiraten am Sandstrand unter freiem Himmel immer populärer? Weil das Mädchen nicht auf das Kleid, die Romantik und das Versprechen verzichten möchte, der Mann aber aus der Kirche ausgetreten ist? Kann man die Kirche an dem Tag ausblenden und trotzdem sein Versprechen vor Gott leisten?

Meine (sehr gebildete) Freundin klärte mich ja übrigens kürzlich darüber auf, dass von früher her gesagt wird, die Ehe sei schon immer ein Entgegenkommen für das schwache Geschlecht gewesen. Man gebe ihm dadurch Sicherheit. Aha, da hat sich aber so Einiges, äh, weiterentwickelt. Angesichts dessen, wie viele Ehen über die Jahre einschlafen und man am Ende pleite wegen der Scheidung ist, vermittelt sie vieles, nur nicht Sicherheit.

Viele Städter leben übrigens in wilder Ehe und bauen kein Haus, sondern mieten sich eine schnieke Altbauwohnung. Und bei diesem Gedanken höre ich wieder das Landei in mir, dem das irgendwie auch nicht so recht wäre.
Was genau ich wirklich will, das kann ich weiterhin planen. Um dann alles zu verwerfen, weil mein Gegenüber andere Pläne geschmiedet hat – es gehören ja unglücklicherweise immer zwei zum Heiraten.

Und da muss ich an einen Satz aus meinem Lieblingsbuch denken, da heißt es von Steffi von Wolff: „Würde mich jemand heiraten, wenn ich verspreche, nein zu sagen?“ 
Vielleicht müssen wir ja, um all die Zweifel und Zukunftsängste weglächeln zu können, erst mal Nein sagen, um uns Ja zu trauen.

Ich hätte ja übrigens ein Kleid. Und wenn mir niemand einen Antrag macht, dann trage ich es trotzdem irgendwann. Am Strand oder so.

© 2013 Ani