Donnerstag, 28. Februar 2013

Der Kuss Kosmos


Es ist ja so ´ne Sache mit dem Küssen. Hat man jemanden gefunden, bei dem man merkt, dass man niemand anderen mehr küssen will, dann kommt man auch ins Grübeln, wie viele falsche Hasen (oder Frösche) man da mal an den eigenen Mund herangelassen hatte. Und merkt, dass niemand und nichts davon mehr passt und diese ehemaligen Knutschereien nur Zeitvertreib gewesen sein konnten. Und Übung. Und das Testen des berühmten Auswahlverfahrens.

Diese Kuss-Kumpels von früher, die Leichen im Keller oder die Geister, die man eigentlich nie mehr rufen möchte – man kann sie betiteln, wie man will, irgendwann kommen sie doch immer zurück. Ein komische SMS in der Nacht, eine unmögliche E-Mail oder ein kurzer Moment zu lange bei Facebook online und zack... da wird man auf einmal wieder kontaktiert vom früheren Versuchskaninchen. Warum fordern die eigentlich immer was von einem, wenn man so glücklich ist, dass man am liebsten für immer die Tür des eigenen Kuss-Kosmos schließen und nie wieder verlassen möchte? Die wollen davon was abhaben, ein Stück dieser zuckersüßen Torte. Nix da. Sag ich. Ich habe die Kontrolle, bzw. das Universum hat die Kontrolle, aber das meint es ja gut mit mir.
Was aber, wenn die lebendigen Toten aus dem ehemaligen Kuss-Keller des Partners auftauchen? Wenn dem einstigen Urlaubsflirt meines Anderen vom ortsansässigen Wahrsager die große Liebe prophezeit wird und die Gute beschließt, diese Aussage auf ihn zu projizieren? Und dann auch noch ins Flugzeug steigt, der Heimat entflieht und das große Glück in Deutschland sucht? Man mag viel spekulieren, wenn das die Eckdaten sind, die man weiß, denn man kennt kuriose urbane Mythen, bei denen diversen Menschen immer etwas passiert, worüber man schallend lachen kann – solange es einem selbst nicht passiert. Doch irgendwann ist man auf einmal derjenige, über den die Geschichten erzählt werden, bei denen jeder sagt: Das glaube ich erst, wenn ich es selbst erlebe!
Ach ja? Na dann, bitteschön.

Mal ehrlich. Keiner will einen Partner, den keiner toll findet, außer man selbst. Dann fängt man auf kurz oder lang wohl auch an zu zweifeln. Aber man möchte ebenfalls nicht, dass die Lebensabschnittsgefährten der Vergangenheit auf einmal in die Gegenwart hüpfen und versuchen, ein bisschen Chaos anzurichten. Nein, das möchte man nicht. Und wie löst man das Problem? Dem Stalker selbst auflauern und in einer dunklen Gasse den Hintern versohlen? Ja, das wäre kindisch, aber es würde zumindest mehr Spaß machen, als die erwachsene Variante zu wählen: Kommunikation. Zwar fängt dieses Wort mit K an, kann sich also genauso positiv wie ein Kuss auswirken, nur leider tun die Kardashians das auch und da kommt ja nie was Gutes bei raus. Nicht mal was Schlechtes.
Und trotzdem wähle ich, mutig und stolz, wie ich bin (zu stolz zum Prügeln), den Weg des Gespräches. Und lerne einmal mehr, zu meinen Schwächen zu stehen. Schwächen, die eigentlich Stark-Schwächen genannt werden müssten, denn sie umfassen Angst, Zweifel, Skepsis und Unsicherheit. Wer kann schon in heutigen Zeiten, in denen man manchmal so schnell alles verliert, wie man es bekommen hat, von sich sagen, dass er so zu seinen Schwächen steht, dass sie ihn am Ende des Tages stark machen? Und ein bisschen mehr authentisch. Und dadurch vielleicht auch ein bisschen liebenswerter?

Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich in früheren Knutsch-Milchstraßen die toughe Freundin gespielt habe, die sich allenfalls mal dazu herabließ, sarkastische Kommentare über Beziehungsprobleme zu machen. Wer mich kannte und hinter die Fassade blicken wollte, der wusste, wie schlecht es eigentlich um die Gefühle eines Menschen steht, wenn er sarkastisch wird. Aber die, die sich keine Mühe machten, die Gedanken einer Frau zu lesen, applaudierten mir zu und betitelten mich als geistreiche Persönlichkeit. Ja gut, so sind wir halt, wir oberflächlichen Kosmonauten.

Doch wenn man jemanden gefunden hat, für den es sich lohnt, der Verletzlichkeit Platz zu machen und ehrlich zu sprechen, dann sollte man das auch tun. Also spreche ich aus, was mir nicht geheuer ist. Wovor ich Angst habe. Und was mich unsicher macht. Wenn es auch noch so uncool ist. Und dann hoffe ich, dass ich nicht alleine auf hoher See davonschippern muss, sondern, dass wir zu zweit im Boot sitzen. Und mal schauen, was passiert. Mit all den Leichen im Keller – vor allem mit der mittlerweile wieder Lebendigen.
Die Zeit vertreiben wir uns, indem wir ein bisschen küssen. In Sicherheit. Denn der Schlüssel zum Kuss Kosmos ist ein Kuss zwischen gleichgesinnten Kosmonauten.

© Ani 2013

Freitag, 15. Februar 2013

Mein Schwein pfeift


Ich stehe im Supermarkt meines Heimatortes. Ein Mann kommt herein. Mein Vater, der neben mir steht, ruft dem Mann zu, ob er morgen schlachten würde. Daraufhin grinst der Mann meinen Vater nickend an. Und ich muss mich auf dem Kassenband übergeben.

Ich bin kein Weltverbesserer. Wirklich nicht. Dafür trenne ich den Müll nicht gut genug und ich fliege auch zu viel durch die Gegend. Weil ich es liebe zu reisen. Da ich allerdings kein Auto habe, mit dem ich die Luft verpesten kann, bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und hoffe insgeheim, dass ich den Hang zum Fliegen dadurch ein bisschen ausgleichen kann.

Nein, ich bin keiner. Dafür bin ich auch oft zu egoistisch. Aber ich versuche immer mehr, meinen Teil dazu beizutragen. Das war ein langer Weg. Lange Zeit war ich Schlüsselkind, meine Nachmittage bestanden darin, stundenlang Bekloppten-TV zu schauen und Fertigpackungen zu mampfen. Wären im Topf noch Reste der Verpackung gewesen, ich hätte es wohl kaum gemerkt. Mein unfassbar nahrhaftes Mittagessen krönte ich dann mit Unmengen an Schokolade. Irgendwie schade, dass ich nie den genetischen Hang zum Übergewicht hatte, besser wäre das mal gewesen.

Und heute? Die Sucht nach der Schokolade ist bestehen geblieben. Nur glaube ich, dass ich sie weniger in mich stopfe, als zumindest versuche, sie zu genießen. Mit dem Alter habe ich einen latenten Hang zum Wein entwickelt. Aber auch diesen schütte ich nur manchmal unbedacht in mich hinein, er ist eher ein treuer Wegbegleiter geworden – beim Kochen, beim Essen, beim gemütlichen Zusammensitzen. Ansonsten habe ich eine ziemlich gute Drehung hingelegt und ich bin fast schon ein bisschen stolz, dass die von selbst gekommen ist und nicht – wie bei einigen, die ich kenne – im Zuge einer Midlife-Crisis Ende 40, gepaart mit diversen körperlichen Erkrankungen. Sie kam freiwillig, ohne Zwang. Das ist doch was.
Irgendwann hatte ich einfach gecheckt, dass Fertigpackungen teurer sind, als alles frisch zuzubereiten. Dann habe ich angefangen, die Inhaltsstoffe zu lesen, und mir wurde immer öfter schlecht. Ich habe einen ganz tollen Spruch gelesen, der mich fast täglich begleitet, und dieser heißt: „Alles, was du auf der Zutatenliste liest und nicht verstehst, versteht dein Körper auch nicht.“ Einfach und doch so genial. Wieso sollte ich meinem TEMPEL etwas hinzufügen, mit dem er nicht weiß, wie er umgehen soll? Bei Schoki ist das natürlich etwas anderes, die wird im Winter als Wärmereserven angelegt – super praktisch – und im Sommer ohne Umwege ausgeschieden. Ganz einfach!

Und sonst? Seit Mai esse ich kein Fleisch mehr. Und es ist nicht so, dass ich es nicht vermisse. Mein Opa war Metzger, mein Papa ist ein Fleischfan und ein Teil meiner Familie schlachtet bis heute. Also ja, ich bin praktisch mit Fleisch groß geworden. Vielleicht ist es das, was es nun so unausweichlich macht, mir Gedanken über diesen irrsinnigen Fleischkonsum zu machen.
Ich liebe Spaghetti Bolognese und ich bin ein Gegner von Fleisch-Ersatz. Nein, Sojastückchen schmecken nicht wie Hackfleisch, das ist mir klar. Deswegen verzichte ich auf dieses Gericht. Und auch auf meine geliebte Lasagne. Angesichts des Pferdefleisch-Skandals kann ich da auch gerade sehr entspannen und lachen – über die doofen Menschen, die diesen gepressten Müll kaufen und in ihre überaus gesundheitsfördernde Mikrowelle packen. Tja.

Ich versuche wirklich, meinen Teil dazu beizutragen. Das, was ich kann, ohne mir dabei ein Bein ausreißen zu müssen. Ohne ein Leben im Verzicht zu führen und dabei die Lebensqualität unter’m Bett zu suchen. Seitdem ich nämlich frische Zutaten verwende und auf Gammelfleisch verzichte, lebe ich automatisch gesund und habe Rezepte entdeckt, die mich auf andere Wolken direkt neben meiner Trüffelnougat-Wolke katapultieren.

Jeder sollte etwas finden, bei dem er das Gefühl hat, einen großen Schritt zu machen. Für sich und für unsere Welt. Und für unsere Mitmenschen. Ich missioniere nicht. Aber spitze Kommentare gönne ich mir. Im Stillen. Oder hier, da ist jeder selbst schuld, wenn er es liest.
Abgesehen davon versuche ich auch, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und DAS ist wirklich eine Lebensaufgabe. Das ist etwas, was mir jemand jeden Tag vorlebt. Weil er es kann. Und ich denke mir: Wenn du das kannst, kann ich es auch. Also versuche ich es. Bis zum Schluss.
Und ich suche mir Projekte, die mich berühren und die es schaffen, dass ich sie unbedingt unterstützen möchte – auch wenn der Geldbeutel noch so leer ist. Denn darum geht es doch: Passion. Leidenschaft, die so groß ist, dass der Verzicht auf etwas (anderes) in den Schatten rückt. Derzeit ist es übrigens „Catching Dreams Afghanistan“.

Was ich gedanklich mit dem netten Schlachter von heute machen soll, weiß ich nicht. Bin noch nicht so weit, dass ich herausgefunden habe, wo ich ihn hin packen soll, in meinen vielen Gehirnwindungen. Denn er ist sicherlich kein schlechter Mensch. Vielleicht ein liebevoller Vater.
Eventuell sagt auch jemand, dass es doch besser sei, selbst zu schlachten und somit die Massentierhaltungen für einige Monate nicht zu unterstützen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht selbst Hand anlegen könnte. Ein Leben auslöschen könnte, das genau die gleiche Berechtigung auf dieser Welt hat, wie ich.

Wir müssen anfangen zu unterscheiden. Wir müssen definieren, was wir wollen. Was sich lohnt. Und was wegfallen kann. Sei es Fleisch. Oder Mülltrennung. Oder Vielfliegen. Oder Pelz kaufen.

Was sind wir uns selbst wert? Was sind uns unsere Kinder wert? Sollen sie in einer Welt leben, in der sie sich bei jedem Schritt, den sie tun, fragen müssen, ob sie mit den Konsequenzen leben können? Weil alles um sie herum am Ende ist?
Wenn jemand neben mir sitzt und sein Steak genießt, aber gleichzeitig beschließt, niemals Pelz zu tragen, dann kann ich gut damit leben. Dann sinkt meine Streitlust, dann atme ich tief ein und hoffe darauf, dass sich bei jedem auf dieser Welt irgendetwas tut.

Auch bei dem Schlachter. Vielleicht, dass er nicht lächelt, wenn er danach gefragt wird. Und sich nur einmal bewusst das schmerzerfüllte Quieken eines hilflosen Tieres anhört.

Übrigens sind der Andere und ich vor kurzem angetrunken beim Döner-Mann vorbeigekommen. Und wir haben überlegt, uns einen zu holen und niemandem davon zu erzählen. Aber wir konnten gemeinsam widerstehen. Vielleicht nicht für immer. Ich setze mich persönlich nicht unter Druck. Aber ich finde, es ist wichtig, irgendetwas zu finden, bei dem die Leidenschaft, seinen Wert zu schützen, größer ist, als der Verzicht, der damit einhergeht.


Für D.   Meinen inneren Schweinehund.

© Ani 2013

Freitag, 1. Februar 2013

Ich muss mal Pipi


Wenn der Jäger nach Hause kommt und seine Beute belächelt wird, ihm über den Kopf gestreichelt wird und er noch lange für Schmunzler sorgt, dann sind wir wohl in einer neuen Zeit angekommen. In einer Zeit, wo man sich durchaus liebevoll über den Jäger lustig machen darf. Denn auch die Frau weiß mittlerweile, wie es abseits der Höhle aussieht und welche Alltagspannen sie erwarten können. Doch vor allem eines sollte sie wissen – und das scheint sie seit gut einer Woche vergessen zu haben: Wie man mit den Pannen umgeht.

Die aktuelle Debatte um einen Politiker, dessen Namen ich angesichts seiner Unpopularität schützen möchte, und eine Journalistin, deren Namen ich wieder vergessen möchte, löst in mir allerlei Emotionen aus. Erst war ich geschockt, wie so eine Situation eine derartige Welle auslösen konnte. Dann war ich gelangweilt. Und habe ab und an ein bisschen gähnen müssen. Und dann war ich so genervt, dass ich mir dachte: Wenn das alle so interessiert, dann sage ich halt auch mal was dazu. Halten wir doch diese Debatte um HIMMELS(reichs) Willen so lange am Leben, wie es nur geht.

Männer sind Männer und Frauen sind Frauen. Daran wird sich nie etwas ändern, da können noch so viele Fußballer inoffiziell schwul sein oder hippe Familienväter beim Kauf von Baby-Gläschen ihre wahre Erfüllung finden. Auch Olivia Jones kann uns da nichts vormachen, wenn sie ihre männlichen Beine rasiert.
Männer werden immer mit ihrem Kumpel am Tresen stehen und frauenfeindliche Witze reißen, während Frauen immer die Bar betreten, um gesehen zu werden. Wem das nicht passt, der muss es trotzdem schlucken, denn passend gemacht wird hier nix. Und angesichts dieser Tatsache, die sich jedes Männlein und jedes Weiblein doch bewusst ist, finde ich es traurig, dass viele ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben.

Von Übergriffen und Belästigungen war nie die Rede. Wer denkt, dass ein Gespräch spät am Abend an einer Hotelbar keine Einladung für harmlose Flirterei ist, der sollte zu Hause bleiben, das Dirndl im Schrank lassen oder mit seinem Bruder Einen trinken gehen. Aber nur mit dem Großen, der kann dann beschützen, falls die bösen Politiker sich einfach nur spitzzüngig wehren wollen gegen bissige Kommentare der Presse, die leider nie den Mund hält.
Hier geht es überhaupt nicht um wirkliche Übergriffe, um Frauen, die leiden, weil sie sich nicht zu helfen wissen. Hier geht es um Menschen, die ihren Job gut machen wollten und sich beide zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Von Opfern sehe ich hier keine Spur, aber wenn wir Frauen uns wieder zu Opfern machen wollen, dann sollten wir den Kampf um Gleichberechtigung und die Realisierung von Führungspositionen im dritten Monat einer Schwangerschaft aus dem Kopf schlagen. Mädels – ihr könnt nicht beides haben. Also hört auf, euch als schwaches Geschlecht darzustellen. Im Grunde wissen wir alle, dass wir die Männer in der Hand haben. Und die wissen das auch und finden es nicht mal schlecht.

Der Spruch, der gefallen ist, ist in meinen Augen ein Kompliment. Ein noch Größeres dazu, angesichts der Provokation seitens Weiblein im Vorhinein. Hut ab, ich hätte mich wohl kaum zurückhalten können, nicht zurückzuschießen. Und ich kann absolut ehrlich sagen: Spätestens im Nachhinein habe ich mich immer über jedes Kompliment gefreut, das ich bekommen habe. Sei es absolut harmlos und nett oder gar anzüglich bis unerträglich gewesen – dahinter steckten ehrlich Absichten, die aufgrund eines hohen Alkoholpegels nicht mehr zu verdecken waren. Was ist nun schlimm daran? Fühle ich mich durch einen Kommentar so unwohl, dass ich die umliegende, gelöste Atmosphäre und die anwesenden Gäste vergesse? Und dadurch das Bedürfnis des Befreiungsschlages so groß wird, dass das ganze Land zuhören und sich unwillkürlich eine Meinung bilden muss? Zu einem Thema, das sicherlich jede Frau schon irgendwann mal erlebt hat oder erleben wird?

Ich finde es bedenklich, wie im Allgemeinen mit dem Thema der sexuellen Belästigung gerade umgegangen wird. Während die einen sich in Diskussionen über die Do’s und Don’t’s an einer spärlich beleuchteten Hotelbar verstricken, denken die Anderen, soziale Netzwerke wären DIE neue Plattform, um einen #Aufschrei zu starten. Da frage ich mich: Wem bringt es etwas, dass tausende von Frauen nun veröffentlichen, wann und wo sie sich aufgrund welcher Begebenheit einmal bedrängt gefühlt haben? Warum können wir uns auf einmal nicht wehren? Mag hart klingen, aber ich selbst kenne solche Vorfälle genügend, meine Freundinnen auch. Nicht eine von ihnen hat sich nicht gewehrt – sind wir nun die große Ausnahme? Ich denke nicht.
Was wir mit alledem nun lostreten, ist keine positive Veränderung für belästigte Frauen im Land. Was wir in Gang bringen sind Männer, die so verärgert darüber sind, dass sie erst Recht den Macho heraushängen lassen oder verängstigt reagieren, weil sie schon vorher Probleme hatten, Frauen anzusprechen. Bald haben wir die Wahl zwischen dem Kerl, der den Mund nicht hält und uns angrabscht und dem Mann, der den Mund nicht aufbekommt und Schweißausbrüche kriegt, wenn er in unseren Ausschnitt starrt. Weil er Angst hat, demnächst vom halben Land verteufelt zu werden. Großes Kino.

Es ist doch so schon nicht einfach, ein gelockertes Gespräch zwischen beiden Parteien entstehen zu lassen. Wer weiß, wie das nächtliche Zusammentreffen nun deutschlandweit weitergeht. Ich hoffe sehr, dass sich keiner einschüchtern lässt und zu sich steht. Und dem Pseudo-Opfer-Dasein den Rücken kehrt. Wo ist denn die Pipi Langstrumpf in uns? Ich selbst bin nach Annika Settergren, ihrer latent-langweiligen Freundin benannt, und weiß trotzdem, mich zu wehren. Weil Pipi immer meine Freundin war und mein Papa mir gesagt hat, dass ich jedem auf die Nase hauen darf, wenn er mir blöd kommt. Das können alle anderen auch.

Übrigens schnuppere ich selbst gerade Presseluft und habe dahingehend auf Heino getroffen. Heino, ein Softie, der jetzt auf Rocker macht. Meine vorgefestigte Meinung dazu habe ich gerne revidiert, als ein Mann vor mir saß, der zu allen Facetten seines Wesens stand: Härte und Weiche. Er spricht mit so einer tiefen und vollen Stimme, dass man ihm stundenlang zuhören möchte, sagt aber gleichzeitig, dass er keine zwei Tage von seiner Hannelore getrennt sein kann. Da kann ich gar nicht fies sein, da bin ich auf der Stelle Fan geworden, vor allem, als er das einzig Wahre sagte, von dem wir uns alle was abschneiden sollten: „Ich habe mich noch nie ernst genommen und das mache ich bis heute nicht.“
Ach, Heino. Vielleicht brauchen manche Journalisten einfach noch ein bisschen Zeit. Schließlich bist du ja auch schon 74.

Wir brauchen weiterhin die Jäger und Sammler, das ist doch klar. Wir wollen stolz sein dürfen und auch mal zurechtgewiesen werden. Aber wenn wir Frauen dann mal loslegen und zeigen, dass wir uns längst freigestrampelt haben– dann freuen sich doch ehrlich gesagt alle Männer so sehr, wie ein Dschungel-Opfer über den Spa-Bereich.

© Ani 2013