Freitag, 15. Februar 2013

Mein Schwein pfeift


Ich stehe im Supermarkt meines Heimatortes. Ein Mann kommt herein. Mein Vater, der neben mir steht, ruft dem Mann zu, ob er morgen schlachten würde. Daraufhin grinst der Mann meinen Vater nickend an. Und ich muss mich auf dem Kassenband übergeben.

Ich bin kein Weltverbesserer. Wirklich nicht. Dafür trenne ich den Müll nicht gut genug und ich fliege auch zu viel durch die Gegend. Weil ich es liebe zu reisen. Da ich allerdings kein Auto habe, mit dem ich die Luft verpesten kann, bin ich auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen und hoffe insgeheim, dass ich den Hang zum Fliegen dadurch ein bisschen ausgleichen kann.

Nein, ich bin keiner. Dafür bin ich auch oft zu egoistisch. Aber ich versuche immer mehr, meinen Teil dazu beizutragen. Das war ein langer Weg. Lange Zeit war ich Schlüsselkind, meine Nachmittage bestanden darin, stundenlang Bekloppten-TV zu schauen und Fertigpackungen zu mampfen. Wären im Topf noch Reste der Verpackung gewesen, ich hätte es wohl kaum gemerkt. Mein unfassbar nahrhaftes Mittagessen krönte ich dann mit Unmengen an Schokolade. Irgendwie schade, dass ich nie den genetischen Hang zum Übergewicht hatte, besser wäre das mal gewesen.

Und heute? Die Sucht nach der Schokolade ist bestehen geblieben. Nur glaube ich, dass ich sie weniger in mich stopfe, als zumindest versuche, sie zu genießen. Mit dem Alter habe ich einen latenten Hang zum Wein entwickelt. Aber auch diesen schütte ich nur manchmal unbedacht in mich hinein, er ist eher ein treuer Wegbegleiter geworden – beim Kochen, beim Essen, beim gemütlichen Zusammensitzen. Ansonsten habe ich eine ziemlich gute Drehung hingelegt und ich bin fast schon ein bisschen stolz, dass die von selbst gekommen ist und nicht – wie bei einigen, die ich kenne – im Zuge einer Midlife-Crisis Ende 40, gepaart mit diversen körperlichen Erkrankungen. Sie kam freiwillig, ohne Zwang. Das ist doch was.
Irgendwann hatte ich einfach gecheckt, dass Fertigpackungen teurer sind, als alles frisch zuzubereiten. Dann habe ich angefangen, die Inhaltsstoffe zu lesen, und mir wurde immer öfter schlecht. Ich habe einen ganz tollen Spruch gelesen, der mich fast täglich begleitet, und dieser heißt: „Alles, was du auf der Zutatenliste liest und nicht verstehst, versteht dein Körper auch nicht.“ Einfach und doch so genial. Wieso sollte ich meinem TEMPEL etwas hinzufügen, mit dem er nicht weiß, wie er umgehen soll? Bei Schoki ist das natürlich etwas anderes, die wird im Winter als Wärmereserven angelegt – super praktisch – und im Sommer ohne Umwege ausgeschieden. Ganz einfach!

Und sonst? Seit Mai esse ich kein Fleisch mehr. Und es ist nicht so, dass ich es nicht vermisse. Mein Opa war Metzger, mein Papa ist ein Fleischfan und ein Teil meiner Familie schlachtet bis heute. Also ja, ich bin praktisch mit Fleisch groß geworden. Vielleicht ist es das, was es nun so unausweichlich macht, mir Gedanken über diesen irrsinnigen Fleischkonsum zu machen.
Ich liebe Spaghetti Bolognese und ich bin ein Gegner von Fleisch-Ersatz. Nein, Sojastückchen schmecken nicht wie Hackfleisch, das ist mir klar. Deswegen verzichte ich auf dieses Gericht. Und auch auf meine geliebte Lasagne. Angesichts des Pferdefleisch-Skandals kann ich da auch gerade sehr entspannen und lachen – über die doofen Menschen, die diesen gepressten Müll kaufen und in ihre überaus gesundheitsfördernde Mikrowelle packen. Tja.

Ich versuche wirklich, meinen Teil dazu beizutragen. Das, was ich kann, ohne mir dabei ein Bein ausreißen zu müssen. Ohne ein Leben im Verzicht zu führen und dabei die Lebensqualität unter’m Bett zu suchen. Seitdem ich nämlich frische Zutaten verwende und auf Gammelfleisch verzichte, lebe ich automatisch gesund und habe Rezepte entdeckt, die mich auf andere Wolken direkt neben meiner Trüffelnougat-Wolke katapultieren.

Jeder sollte etwas finden, bei dem er das Gefühl hat, einen großen Schritt zu machen. Für sich und für unsere Welt. Und für unsere Mitmenschen. Ich missioniere nicht. Aber spitze Kommentare gönne ich mir. Im Stillen. Oder hier, da ist jeder selbst schuld, wenn er es liest.
Abgesehen davon versuche ich auch, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und DAS ist wirklich eine Lebensaufgabe. Das ist etwas, was mir jemand jeden Tag vorlebt. Weil er es kann. Und ich denke mir: Wenn du das kannst, kann ich es auch. Also versuche ich es. Bis zum Schluss.
Und ich suche mir Projekte, die mich berühren und die es schaffen, dass ich sie unbedingt unterstützen möchte – auch wenn der Geldbeutel noch so leer ist. Denn darum geht es doch: Passion. Leidenschaft, die so groß ist, dass der Verzicht auf etwas (anderes) in den Schatten rückt. Derzeit ist es übrigens „Catching Dreams Afghanistan“.

Was ich gedanklich mit dem netten Schlachter von heute machen soll, weiß ich nicht. Bin noch nicht so weit, dass ich herausgefunden habe, wo ich ihn hin packen soll, in meinen vielen Gehirnwindungen. Denn er ist sicherlich kein schlechter Mensch. Vielleicht ein liebevoller Vater.
Eventuell sagt auch jemand, dass es doch besser sei, selbst zu schlachten und somit die Massentierhaltungen für einige Monate nicht zu unterstützen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich nicht selbst Hand anlegen könnte. Ein Leben auslöschen könnte, das genau die gleiche Berechtigung auf dieser Welt hat, wie ich.

Wir müssen anfangen zu unterscheiden. Wir müssen definieren, was wir wollen. Was sich lohnt. Und was wegfallen kann. Sei es Fleisch. Oder Mülltrennung. Oder Vielfliegen. Oder Pelz kaufen.

Was sind wir uns selbst wert? Was sind uns unsere Kinder wert? Sollen sie in einer Welt leben, in der sie sich bei jedem Schritt, den sie tun, fragen müssen, ob sie mit den Konsequenzen leben können? Weil alles um sie herum am Ende ist?
Wenn jemand neben mir sitzt und sein Steak genießt, aber gleichzeitig beschließt, niemals Pelz zu tragen, dann kann ich gut damit leben. Dann sinkt meine Streitlust, dann atme ich tief ein und hoffe darauf, dass sich bei jedem auf dieser Welt irgendetwas tut.

Auch bei dem Schlachter. Vielleicht, dass er nicht lächelt, wenn er danach gefragt wird. Und sich nur einmal bewusst das schmerzerfüllte Quieken eines hilflosen Tieres anhört.

Übrigens sind der Andere und ich vor kurzem angetrunken beim Döner-Mann vorbeigekommen. Und wir haben überlegt, uns einen zu holen und niemandem davon zu erzählen. Aber wir konnten gemeinsam widerstehen. Vielleicht nicht für immer. Ich setze mich persönlich nicht unter Druck. Aber ich finde, es ist wichtig, irgendetwas zu finden, bei dem die Leidenschaft, seinen Wert zu schützen, größer ist, als der Verzicht, der damit einhergeht.


Für D.   Meinen inneren Schweinehund.

© Ani 2013

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