Ich stehe im Supermarkt
meines Heimatortes. Ein Mann kommt herein. Mein Vater, der neben mir steht,
ruft dem Mann zu, ob er morgen schlachten würde. Daraufhin grinst der Mann
meinen Vater nickend an. Und ich muss mich auf dem Kassenband übergeben.
Ich bin kein Weltverbesserer.
Wirklich nicht. Dafür trenne ich den Müll nicht gut genug und ich fliege auch
zu viel durch die Gegend. Weil ich es liebe zu reisen. Da ich allerdings kein
Auto habe, mit dem ich die Luft verpesten kann, bin ich auf öffentliche
Verkehrsmittel angewiesen und hoffe insgeheim, dass ich den Hang zum Fliegen
dadurch ein bisschen ausgleichen kann.
Nein, ich bin keiner. Dafür
bin ich auch oft zu egoistisch. Aber ich versuche immer mehr, meinen Teil dazu
beizutragen. Das war ein langer Weg. Lange Zeit war ich Schlüsselkind, meine
Nachmittage bestanden darin, stundenlang Bekloppten-TV zu schauen und
Fertigpackungen zu mampfen. Wären im Topf noch Reste der Verpackung gewesen,
ich hätte es wohl kaum gemerkt. Mein unfassbar nahrhaftes Mittagessen krönte
ich dann mit Unmengen an Schokolade. Irgendwie schade, dass ich nie den
genetischen Hang zum Übergewicht hatte, besser wäre das mal gewesen.
Und heute? Die Sucht nach der
Schokolade ist bestehen geblieben. Nur glaube ich, dass ich sie weniger in mich
stopfe, als zumindest versuche, sie zu genießen. Mit dem Alter habe ich einen
latenten Hang zum Wein entwickelt. Aber auch diesen schütte ich nur manchmal
unbedacht in mich hinein, er ist eher ein treuer Wegbegleiter geworden – beim
Kochen, beim Essen, beim gemütlichen Zusammensitzen. Ansonsten habe ich eine
ziemlich gute Drehung hingelegt und ich bin fast schon ein bisschen stolz, dass
die von selbst gekommen ist und nicht – wie bei einigen, die ich kenne – im
Zuge einer Midlife-Crisis Ende 40, gepaart mit diversen körperlichen
Erkrankungen. Sie kam freiwillig, ohne Zwang. Das ist doch was.
Irgendwann hatte ich einfach gecheckt,
dass Fertigpackungen teurer sind, als alles frisch zuzubereiten. Dann habe ich
angefangen, die Inhaltsstoffe zu lesen, und mir wurde immer öfter schlecht. Ich
habe einen ganz tollen Spruch gelesen, der mich fast täglich begleitet, und
dieser heißt: „Alles, was du auf der Zutatenliste liest und nicht verstehst,
versteht dein Körper auch nicht.“ Einfach und doch so genial. Wieso sollte ich
meinem TEMPEL etwas hinzufügen, mit dem er nicht weiß, wie er umgehen soll? Bei
Schoki ist das natürlich etwas anderes, die wird im Winter als Wärmereserven
angelegt – super praktisch – und im Sommer ohne Umwege ausgeschieden. Ganz
einfach!
Und sonst? Seit Mai esse ich
kein Fleisch mehr. Und es ist nicht so, dass ich es nicht vermisse. Mein Opa
war Metzger, mein Papa ist ein Fleischfan und ein Teil meiner Familie
schlachtet bis heute. Also ja, ich bin praktisch mit Fleisch groß geworden.
Vielleicht ist es das, was es nun so unausweichlich macht, mir Gedanken über diesen
irrsinnigen Fleischkonsum zu machen.
Ich liebe Spaghetti Bolognese
und ich bin ein Gegner von Fleisch-Ersatz. Nein, Sojastückchen schmecken nicht
wie Hackfleisch, das ist mir klar. Deswegen verzichte ich auf dieses Gericht.
Und auch auf meine geliebte Lasagne. Angesichts des Pferdefleisch-Skandals kann
ich da auch gerade sehr entspannen und lachen – über die doofen Menschen, die
diesen gepressten Müll kaufen und in ihre überaus gesundheitsfördernde
Mikrowelle packen. Tja.
Ich versuche wirklich, meinen
Teil dazu beizutragen. Das, was ich kann, ohne mir dabei ein Bein ausreißen zu
müssen. Ohne ein Leben im Verzicht zu führen und dabei die Lebensqualität unter’m
Bett zu suchen. Seitdem ich nämlich frische Zutaten verwende und auf
Gammelfleisch verzichte, lebe ich automatisch gesund und habe Rezepte entdeckt,
die mich auf andere Wolken direkt neben meiner Trüffelnougat-Wolke
katapultieren.
Jeder sollte etwas finden,
bei dem er das Gefühl hat, einen großen Schritt zu machen. Für sich und für
unsere Welt. Und für unsere Mitmenschen. Ich missioniere nicht. Aber spitze
Kommentare gönne ich mir. Im Stillen. Oder hier, da ist jeder selbst schuld,
wenn er es liest.
Abgesehen davon versuche ich
auch, jeden Menschen so zu akzeptieren, wie er ist und DAS ist wirklich eine
Lebensaufgabe. Das ist etwas, was mir jemand jeden Tag vorlebt. Weil er es
kann. Und ich denke mir: Wenn du das kannst, kann ich es auch. Also versuche ich
es. Bis zum Schluss.
Und ich suche mir Projekte,
die mich berühren und die es schaffen, dass ich sie unbedingt unterstützen
möchte – auch wenn der Geldbeutel noch so leer ist. Denn darum geht es doch:
Passion. Leidenschaft, die so groß ist, dass der Verzicht auf etwas (anderes)
in den Schatten rückt. Derzeit ist es übrigens „Catching Dreams Afghanistan“.
Was ich gedanklich mit dem
netten Schlachter von heute machen soll, weiß ich nicht. Bin noch nicht so
weit, dass ich herausgefunden habe, wo ich ihn hin packen soll, in meinen vielen
Gehirnwindungen. Denn er ist sicherlich kein schlechter Mensch. Vielleicht ein
liebevoller Vater.
Eventuell sagt auch jemand,
dass es doch besser sei, selbst zu schlachten und somit die Massentierhaltungen
für einige Monate nicht zu unterstützen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass
ich nicht selbst Hand anlegen könnte. Ein Leben auslöschen könnte, das genau
die gleiche Berechtigung auf dieser Welt hat, wie ich.
Wir müssen anfangen zu
unterscheiden. Wir müssen definieren, was wir wollen. Was sich lohnt. Und was
wegfallen kann. Sei es Fleisch. Oder Mülltrennung. Oder Vielfliegen. Oder Pelz
kaufen.
Was sind wir uns selbst wert?
Was sind uns unsere Kinder wert? Sollen sie in einer Welt leben, in der sie
sich bei jedem Schritt, den sie tun, fragen müssen, ob sie mit den Konsequenzen
leben können? Weil alles um sie herum am Ende ist?
Wenn jemand neben mir sitzt
und sein Steak genießt, aber gleichzeitig beschließt, niemals Pelz zu tragen,
dann kann ich gut damit leben. Dann sinkt meine Streitlust, dann atme ich tief
ein und hoffe darauf, dass sich bei jedem auf dieser Welt irgendetwas tut.
Auch bei dem Schlachter. Vielleicht,
dass er nicht lächelt, wenn er danach gefragt wird. Und sich nur einmal bewusst
das schmerzerfüllte Quieken eines hilflosen Tieres anhört.
Übrigens sind der Andere und
ich vor kurzem angetrunken beim Döner-Mann vorbeigekommen. Und wir haben
überlegt, uns einen zu holen und niemandem davon zu erzählen. Aber wir konnten
gemeinsam widerstehen. Vielleicht nicht für immer. Ich setze mich persönlich
nicht unter Druck. Aber ich finde, es ist wichtig, irgendetwas zu finden, bei
dem die Leidenschaft, seinen Wert zu schützen, größer ist, als der Verzicht,
der damit einhergeht.
Für D. Meinen
inneren Schweinehund.
© Ani 2013
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