Samstag, 28. Juli 2012

let it go, let it be.




Verlustängste haben die Einen mehr, die Anderen weniger.

Jeder von uns hat den Schmerz des Verlusts schon mal erlebt, sei es, indem das eigene Herz gebrochen wurde, weil sich der Partner trennte, das Haustier gestorben oder die beste Freundin ausgewandert ist.

Die Verlustangst kann lähmen. Sie hat ihren selbstständigen Kopf und den pflanzt sie in deinen Eigenen und du fühlst dich machtlos. Gedanken kreisen in völliger Willkür um dich herum und du wirst ihnen kaum Herr.

Der eigentliche Verlust an sich läuft ähnlich ab. Die fünf Stufen der Trauerbewältigung treten in Kraft, eigentlich ein festes System, an dem man sich entlanghangeln könnte, und doch fühlt man sich auch hier wieder komplett gelähmt, zumindest am Anfang.

Und was tut man, wenn man außen steht und beobachtet, wie ein geliebter Mensch versucht, seine Trauer zu verarbeiten? Ich habe schon öfter in meinem Leben Leute begleitet, die gerade den Tod eines anderen Menschen zu verarbeiten hatten, meist steckte ich selbst nicht mit in der Situation, was mir half, meine objektive Sicht auf das Leben zu kommunizieren. Wenn aber jemand vor dir sitzt, zu dem du selbst einen engen Bezug hast, dann wird es schon schwieriger.

Soll ich deine Hand halten? Soll ich kurz das Zimmer verlassen, weil du vielleicht lieber alleine sein möchtest? Oder willst du vielleicht hören, was ich über all diese Dinge denke, über die so keiner reden möchte? Tod, Trauer, Verlust.

Die Physik definiert den Verlust so:

[…] der Anteil von Energie, der bei der Umwandlung von einer Form in eine Andere (z. B. elektrische Energie in Licht), als dritte, meist unerwünschte Form der Energie (z. B. Wärme) entsteht. (Quelle: Wikipedia)

Irgendwie finde ich diese Erklärung universell passend. Wenn man annimmt, dass alles um uns herum und auch wir Menschen selbst Energie sind, dann ist der eigentliche Verlust beim Tod eines Menschen lediglich seine Hülle, die beim Transformieren, also bei der Umwandlung von einer Form in eine Andere, verloren geht. Damit konnte und kann ich mich sehr viel mehr arrangieren, als mit dem Glauben, wir würden alle irgendwann mit viel zu kleinen Flügelchen und dicken Bäuchlein ausgestattet sinnlos von Wölkchen zu Wölkchen hüpfen, pardon, fliegen. Da hätte doch auch die Physik was dagegen.

Das Schwierigste ist, zum Herz zerreißenden Verlust wirklich Ja zu sagen. Zu allem, was kommt. Die Tage, an denen man nicht aus dem Bett kommt und die Tage, an denen man ihn wegschiebt, um aus dem Bett zu kommen. Sich die Zeit zu geben, die man braucht, und trotzdem die Balance zu finden, die Verarbeitung aus Frust und Trotz nicht schleifen zu lassen.

Manche Menschen haben das Glück, dass sie in solchen Phasen jemanden kennenlernen, der beistehen kann und will. Das ist dann quasi das allseits bekannte Glück im Unglück, der Gewinn im Verlust und dieser kann es dann manchmal ermöglichen, zu sehen, was man alles für Geschenke schon bekommen hat, gerade dann, wenn man den größten Verlust in seinem bisherigen Leben erfahren hatte.
Die Menschen in deiner Umgebung wachsen zusammen, man gibt sich gegenseitig Halt und plötzlich werden die Nichtigkeiten endlich wieder nichtig. Da ist es nicht so schlimm, wenn jemand einfach immer zu spät zur Verabredung kommt oder man eine Klausur in den Sand setzt.
Verlust ist auch immer eine Chance. Es ist äußerst waghalsig, das auszusprechen, vielleicht schreibe ich es deswegen hier lieber auf.
Er kommt nicht ohne Grund in dein Leben und er verändert dich nicht ohne Grund. Nach solchen Erlebnissen, vor allem in jungen Jahren, gehst du als anderer Mensch daraus hervor und durch dein vor dir liegendes Leben. Du hast die Chance, Dinge lockerer und vor allem klarer zu sehen. Entscheidungen können schneller gefällt werden, weil du erlebt hast, wie schnell alles vorbei sein kann und wie wichtig es ist, im Moment zu leben – bei den Menschen, die da sind, um dich herum und mit dir in deinem Leben.

Klar, als Außenstehender mag man das schnell mal gesagt haben, aber dafür sind Außenstehende ja auch da. Ein Therapeut legt sich schließlich auch nicht neben dich auf die Couch, streichelt dein Händchen und bestätigt dir, wie schlimm das alles sei und dass er jetzt auch nicht weiter wüsste.

Wenn ein Mensch in unserem Dasein trauert, dann haben wir die Chance, mit ihm daran zu wachsen. Und auch gerne mitzuweinen, das ist bei mir zum Beispiel eh inklusive. Man kann auch einfach gefühlte Stunden nebeneinander sitzen, Tracy Chapman hören und einfach nichts sagen. Wenn dann deine Hand genommen wird, dann weißt du wenigstens, dass es gut ist, so, wie es ist.
Und vor allem, dass es reicht, nur da zu sein. Nur da.
Und das war dann die richtige Entscheidung.


Für Dich.

© 2012 Ani

1 Kommentar:

  1. Ist es nicht tröstlich und wunderbar, dass die Seele ja nicht gehen kann, sondern nur die Hülle. In der Stille sind wir tief im Herzen weiterhin verbunden.
    Als Buchtip hierzu: Das Märchen vom Tod von Marie-Claire van der Bruggen

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