Dienstag, 26. Juni 2012

Und was kann deine Moral so?

Wann hat man selbst zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, dass man etwas tut, was im Allgemeinen schief angeschaut wird? Was ist besser: Sich etwas zu verbieten, weil es Andere nicht gut finden, vielleicht sogar jemanden verletzen, oder aber Versuchungen nachzugeben, weil sie den eigenen Wunsch repräsentieren? Wie vereinbart man den Grundsatz, der wichtigste Mensch im eigenen Leben zu sein und doch nicht blindlings über andere Köpfe zu stolpern?

Ich habe oftmals Probleme, mich vom Handeln Anderer abzugrenzen. Als ich am Wochenende etwas mitbekam, was ich für moralisch grenzwertig hielt, konnte ich ganz leicht die Stufen der mentalen Verarbeitung bei mir beobachten. Erst war ich neugieriger Zuhörer, dann habe ich angefangen nachzudenken und letztendlich verurteilt. Ziemlich schnell sogar. Ich war nicht ganz unbefangen, weil es sich um einen Freund drehte, aber ich merkte, wie schnell ich verurteilte und Probleme damit hatte, sein Handeln einfach an mir vorbeiziehen zu lassen. Im Endeffekt hatte es nämlich rein gar nichts mit mir zu tun.
Und dann habe ich mir die ganze Zeit im Geist zugeredet und gesagt, dass ich es jetzt einfach sein lassen sollte, dass es eh nichts bringt und dass Verurteilen noch schlimmer ist, als das, was er getan hatte, weil man nie in den Schuhen eines Anderen stecken kann. Und am Ende des ganzen Gedankenkarussells habe ich beobachten müssen, wie ich mich verurteilte – dafür, dass ich voreingenommen war, dass ich mir Gedanken gemacht hatte, bevor ich die ganze Geschichte wusste oder im Allgemeinen dafür, dass ich mir überhaupt ein Urteil gebildet hatte. Klar, das ist menschlich, aber schon so lange arbeite ich an dieser Sache und immer zu sagen, dass es in der menschlichen Natur liegen würde, finde ich ziemlich einfach gestrickt.

Aber was ist denn jetzt mit der Moral von der Geschichte? Wer ist denn dieser Irre gewesen, der beschlossen hatte, uns allen unterschiedliche Vorstellungen von Sitte, Knigge und Tugenden im sozialen Nahverkehr zu geben?

Beispiel: Rauchen. Simpel. Jedes Kind weiß, dass es ungesund ist und trotzdem hat es einen festen Platz im heutigen Leben. Warum? Weil die Verlockung das ist, was die Spannung im Leben ausmacht. Verurteilen kann man es ja aber trotzdem. Die Einen rauchen, trinken aber dafür keinen Alkohol und meinen, das somit wieder auszugleichen. Die Anderen arbeiten in der Tabakindustrie und sind strikte Nichtraucher. Es gibt irgendwie alles, doch ist es schwer, es zu verstehen.
Viele machen es so: Mal hier und da eine Zigarette zum Rotwein, die Kettenraucher aber schief anschauen, so gefällt uns das, da ist man gerne Klugscheißer und die Halbtoten haben eben einfach keine Selbstbeherrschung.

Oder: Fremdgehen. Psychologisch betrachtet sind wir zur Monogamie gar nicht gemacht, was wieder zu diesem Ur-Verrückten zurückführt, der festgesetzt hatte, Fremdgehen sei schamlos und ein Vergehen und deswegen fing jeder an, ein Problem damit zu haben. Im Endeffekt ist es aus dem Haben-Will-Besitzer-Streben entstanden, hat sich etabliert und nun ist es fast keinem so wirklich Recht, den Partner zu teilen. Mittlerweile ist Fremdgehen ein absolutes Tabu, von Betroffenen wird es oftmals tot geschwiegen, aber zumindest oberflächlich lässt sich jeder darüber aus und trotzdem gibt es kaum einen, der diesbezüglich eine weiße Weste trägt. Ich bin da Mitläufer, ich habe diese Sache hinter mir und möchte es nicht nochmal tun, weil ich weiß, dass es jedem Beteiligten weh tut und meist nur den Katalysator darstellt für ein Problem, das schon längst offen liegt. Trotzdem bleibt es eines der heißdiskutiertesten Themen heutzutage und jeder baut sich sein eigenens Meinungsschlösschen darauf.

Es gibt aber auch Menschen, die bewusst allem nachgeben, was sie anzieht, weil sie psychologisch betrachtet der Ansicht sind, dass sie ihrer eigenen Natur treu bleiben, wenn sie das tun, was sie möchten. Das kann man egoistisch nennen, vielleicht sogar so weit gehen und sagen, dass anstelle der Selbstbeherrschung ein schwarzes Loch vorliegt, mich interessiert aber viel mehr, ob da nicht einfach der Neid aus uns spricht? Wer hat je behauptet, man müsse sich zurückhalten, zügeln, den angesehen Platz in der Gesellschaft verteidigen, obwohl man sich prinzipiell, nun ja, moralisch ausprobieren möchte? Da Wertvorstellungen so weit auseinanderliegen, wie Golf und Dosenbier, liegt es doch eher im Auge jedes Einzelnen, was er wirklich mit den Aufgaben in seinem Leben anstellen möchte.

Natürlich ist es schwierig, sein eigenes Ding durchzuziehen und dabei nicht auf den Werten und Herzen anderer Menschen herumzutrampeln – doch im Endeffekt geht es um einen selbst und man sollte sich die Frage stellen:

Wo berührt mein Wunsch, mein Vorgehen, mein Verlangen die Grenze eines Anderen?
Und warum macht man es sich so leicht und handelt grundsätzlich unüberlegter, wenn man den Leidtragenden nicht mag oder nicht persönlich kennt?

Es ist wichtig, dass sich jeder seine eigene Wahrheit baut, aber die sollte auch dem eigenen Charakter entsprechen und nicht gestaltet sein, einfach so mal zwischendurch, damit die Freunde ein Bild haben, was ihnen passt, dem betreffenden Menschen aber irgendwie so gar nicht.
Vielleicht ist ja ein kleiner Leitfaden folgender: Zuhören, andere Schuhe anprobieren, kommunizieren, sich in der Mitte treffen.
Was mich angeht, so versuche ich seit langem, mir keine feste Meinung über Dinge zu bilden, mit denen ich noch keine Erfahrungen gemacht habe.
Denn ich war schon öfter in Situationen, in denen ich auf einmal völlig anders gehandelt habe, als ich vermutet hätte – und im Vorfeld lautstark auf meiner eigenen kleinen Kanzel verkündet hatte.

© Ani 2012

1 Kommentar:

  1. Hallo Ani

    Denken wir bei Gefallen etwas weiter. Die Braut ist beim Hochzeit-ritual vom Ursprung her voll verschleiert? Der Schleier wird nach dem Ja, "ich will" gelüftet und dann kommt's, "Er, der Bräutigam darf die Braut nun küssen". Was will uns dieses Ritual sagen, liebe Ani? Vielleicht hat das Tragen einer Burka ja doch einen tieferen, unverstandenen Sinn des Schutzes? Es gab eine Zeit, da ein Junge ein Mädchen nicht küssen durfte? War dieses eine bloße Unterdrückung von Lust und Spaß? Wenn eine starke Erklältung vorliegt küßt man im Allgemeinen den Betroffenen nicht heiß und innig, da man sich durch Körperflüssigkeiten infizieren könnte? Wenn ein Mann und eine Frau gar miteinander Geschlechtsverkehr haben, wird die Aufnahme von Körperflüssigkeit gar als schön empfunden begrüßt?

    Was hat es mit dem Schänden in Kriegen genau auf sich? Jemanden erniedrigen kann man auf vielfälltige Weise und im Allgemeinen hört man nur davon daß die Frauen der Feinde vergewaltigt werden? Gibt es einen tieferen Sinn in dieser verachtlichen Handlungsweise?

    http://wp.me/p22im4-6e

    Natürlich mag das unter dem Link Beschriebene einem möglichweise nur sehr schwer in den Kopf wollen, doch ich behaupte gar, daß Menschen auch auf viel feineren, unsichbaren und nicht meßbaren Ebenen aufeinander einwirken, also eine Prägung stattfinden kann.

    Mit liebem Gruß
    Ralf von Ardennien

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