Mittwoch, 25. Januar 2012

Chocolate boy

(neulich am Telefon)

„Hallo, ig rufen an wegen Mitfahrgelegenheit, du noch haben Platz, dann bitte mitnehmen meine Cousine. Wann sind Sie denn in XY?“
„Das wird schwierig, wenn Sie erst in XY zusteigen wollen, da kann ich mich schwer drauf verlassen, weil ich somit das Geld für die Mitfahrgelegenheit nicht von Anfang an bekomme und das ehrlich gesagt nicht so gerne mache.“
„Aber ig haben Geld, wenn Sie sagen „Ja“, dann ig anrufen mein Cousine, Sie gerade aus USA gekommen. Ist das Gleiche, wie wenn Sie Leute von Anfang an mitnehmen, ist gleiche Geld.“
„Ich weiß schon, dass es der gleiche Betrag ist, aber ich möchte eigentlich nur Leute von XZ aus mitnehmen, verstehen Sie? Von Anfang an.“
„Ich zahlen gleichen Betrag, wie andere!!! Ich haben Geld, sonst ich hätte Sie nicht angerufen! Meine Cousine aus USA gekommen, Sie muss 14h in ZX sein! Wann sind Sie in XY?“
„Das habe ich nicht im Kopf. Schauen Sie doch erst einmal auf die Bahnseite und suchen Sie sich eine passende Verbindung heraus. Auch in XY finden Sie viele Mitfahrgelegenheiten.“
„Ich nicht Leute fragen will an Gleis, das ist mir unangenehm. Ich haben extra nachgeschaut und Sie jetzt angerufen!! Meine Cousine muss um 14h in ZX sein, Sie jetzt mitnehmen?“
„Ja, aber, Moment mal: um 14h bin ich doch auf keinen Fall in ZX, wenn ich um 11h erst losfahre. Schauen Sie doch bitte vorher erst einmal auf die Zugverbindungen, bevor Sie anrufen! Und schreien Sie mich doch jetzt nicht an, es funktioniert ja zeitlich sowieso nicht!!!“
„Ja, gut, dann wir nicht müssen streiten.“
„Ja, schön. Tschüß!“
„Schüß!“

So laufen Gespräche morgens, halb 10, in Deutschland ab.
Ich fühlte mich in den letzten Tagen von diesem und ähnlichen Themen ein bisschen verfolgt, angesichts dessen, dass ich erst gestern in unschuldiger Kaffeekränzchenrunde ein Teil der für mich bisher politisch inkorrektesten Diskussion meines Lebens wurde.
Der Ursprung des Gespräches ist offiziell unbekannt, inoffiziell einfach eher unpassend, zu erwähnen, führte aber zu einigen witzigen Anekdoten. So erzählte mir meine verträumte Freundin zum Beispiel, dass sie nach einem Jahr Aufenthalt in Australien ein Sprichwort gelernt hätte, welches den Satz „grab a nigger by the toe“ beinhalten würde. Während ich versuchte, mein Lachen politisch korrekt zu unterdrücken, merkte ich immer mehr, wie steif unsere Gesellschaft in puncto Gratwanderungen geworden ist. Schließlich war meine Freundin mit einem Augenzwinkern sehr schnell das „German NAZI girl“ geworden, was ich dann so dermaßen unpassend fand, dass ich vor Lachen fast vom Stuhl fiel.

Es wird gesagt, dass uns Menschen verschiedene Sprachen gegeben wurden, um uns zu verwirren. Aus sprachlichen Missverständnissen und verschiedenen Hautfarben wurden Streitereien zu Kriegen und wir selbst haben uns das Boot erschaffen, in dem wir doch alle zusammen sitzen. Die Einen schweigen sich an, weil sie sich nichts zu sagen haben, die Anderen machen ausländerfeindliche Witze, um die Situation zu entschärfen und wiederum Andere lernen Sprachen und bereisen Länder, um den Horizont zu erweitern – mal abgesehen vom Kapitän, der aus Versehen in das Rettungsboot fällt und denkt, er wäre fein raus aus der ganzen Sache.
Ich glaube, dass ausländerfeindliche Witze und Anekdoten, die sich Klischees anderer Länder bedienen, definitiv das Potenzial haben, zum Zusammenwachsen beizutragen. Ich selbst habe oft in Runden mit anderssprachigen Freunden die Vorurteile über Deutsche diskutiert und am Ende festgestellt, dass man darüber viel mehr lachen und zustimmend nicken, als wütend sein kann.
Und wenn dann auf der anderen Seite ein dunkelhäutiger Freund die Aussage bringt: „Ich bin hier der einzige Deutsche!“, legt er eine Steilvorlage für alle kommenden Witze und vereint damit seine erste Heimat mit seiner zweiten.

Ich finde ja im Allgemeinen, dass die Gegensätze immer mehr verschmelzen und wir alle mehr zusammenkommen – wurde ja auch langsam mal Zeit, wenn man bedenkt, dass die USA schon immer das kleine Europa als ein Land gesehen hat. Und wir sind es doch auch, wir ticken alle ähnlich, nur drücken wir uns unterschiedlich aus.
Selbst optisch orientiert man sich z. B. bei der Partnerwahl mehr oder weniger automatisch am Gegensatz zu einem selbst. Erst kürzlich haben meine Freundin und ich festgestellt, dass man ganz oft den dunkelhäutigen Iraner Hand in Hand mit der langbeinigen Schwedin durch Münchens Straßen flanieren sieht – Zufall? Laune der Natur? Ich denke eher an ein genetisches Kalkül, man stelle sich nur die cappuccinofarbigen Nachkommen mit hellen Augen und süßen Löckchen vor.

Und während ich weiter vor mich hin träume, wo ich demnächst hinreisen möchte und welche Sprache ich nun endgültig mal anfangen sollte zu lernen, schreibe ich einem spanischen Freund eine Geburtstags-SMS. Auf Englisch. Denn dieses Rettungsboot haben wir uns schon vor langer Zeit gemeinschaftlich gebaut und es hat jeder die Chance, darin Platz zu nehmen und an den Rande des (eigenen) Horizonts zu fahren.

© 2012 Ani

2 Kommentare: