Freitag, 15. März 2013

Der Applaus


Vor kurzem war ich auf einem tollen Konzert. Es war in einer kleinen Bar, der Sänger saß im Eck am Mikrofon, zwei Gitarren hatte er dabei. Das war alles. Es war eines dieser unglaublich intimen Konzerte, von denen man das Gefühl hat, der Künstler würde nur für einen selbst singen. Quasi eine Privatvorstellung. Und dann fing jemand an, laut zu reden. So laut, dass man davon ausgehen musste, dass er gehört werden wollte. Es legte sich binnen Sekunden eine derartige Spannung über die eigentlich schöne Atmosphäre, dass ich innerlich anfing zu brodeln. Was für ein unangenehmer Mensch, der auf diese penetrante Art und Weise nach Aufmerksamkeit haschen musste. Der uns alle daran teilhaben lassen musste, dass er demnächst nach L.A. fliegen würde zu einem Was-weiß-ich-ich-bin-doch-nur-ein-armes-Würstchen-Dreh.
Die Stimmung versuchte ich krampfhaft beizubehalten, mich nicht ablenken zu lassen oder ihm gar weiterhin zuzuhören. Trotzdem fing ich an, mich selbst zu verkrampfen. Nachdem meine Freundin ihn gebeten hatte, sich ruhiger zu unterhalten, machte er einfach genau so weiter. Und ich fragte mich:

Ist nur er das oder nehmen wir uns alle insgesamt viel zu wichtig?

Schwierig zu sagen. Klar weiß man, dass man selbst den Anstand hat, in gewissen Momenten die Klappe zu halten oder – wenn einem die servierte Kunst nicht passt – die Bar zu verlassen... aber mal ehrlich? Brauchen wir nicht alle irgendwo den Applaus? So manchmal? Und wann wird es einfach lächerlich? Fängt es bei beim fishing for compliments an oder hört da der gute Geschmack schon eigentlich längst auf?

Ich als Schauspielerin habe schon öfter mit den typischen Vorurteilen des Berufes zu kämpfen gehabt. Zum Beispiel sind wir alle durch und durch narzisstisch veranlagt, ausgeprägte alpha-Tierchen oder einfach egozentrisch. Mag sein. Aber wenn die Welt eine Bühne ist, dann sind wir das doch alle. Alle ein bisschen zu egoistisch, alle ein bisschen zu wichtig.

Und ja, wir nehmen uns alle zu ernst. Unseren Beruf. Unsere Meinung. Unsere Frisur. Sogar unseren Humor, denn wenn keiner mit lacht, wird es auch ganz schnell ernst. Was kann man dagegen tun, außer ein paar Mal mehr zu lachen, als man es eigentlich gewohnt ist?
Es ist schwierig, sich und das Leben locker zu nehmen, wenn einem jahrelang anderes gepredigt wurde. Das Leben ist kein Ponyhof.
Unsere Großeltern hatten es schwer, unsere Eltern teilweise auch noch. Aber wir? Haben wir es wirklich so schwer, dass wir uns und alles um uns herum so unglaublich ernst nehmen müssen? Oder ist es gerade, weil es uns so gut geht, auch gleichzeitig nicht möglich, den Blick auf das Wesentliche zu schärfen? Zu unterscheiden zwischen Schwere und Leichtigkeit. Zu sehen, dass ich mir keine Gedanken um Stirnfalten machen muss, wenn ich den ganzen Tag lache. Und dass ich mich definitiv ab und an ernst nehmen soll und kann und darf, wenn ich andere gleichzeitig genauso akzeptiere.
Wenn ich also sozusagen den Raum, den ich mir nehme, auch gerne zurückgebe?

Ich persönlich bin ein guter Zuhörer und ich kann auch mal einen Monolog schwingen, wenn mir danach ist. Ich nehme mir heraus, zu behaupten, dass ich auf einem guten Weg bin, dieses Taktgefühl zu stärken, welches mir zeigt, für welche Verhaltensweise nun gerade Zeit ist. Und für welche nicht, weil sie ganz einfach fehl am Platze ist.

Ich werde ja ein Fan sogenannter Feedback-Gespräche. Deren Sinn ist es, dann und wann miteinander zu reden und sich gegenseitig zu sagen, was man am Gegenüber kritisieren möchte oder loben. Egal, ob das nun innerhalb von Freundschaften, Partnerschaften oder am Arbeitsplatz ist. Fakt ist, dass man die enorme Schwere und teilweise sinnlose Ernsthaftigkeit von Streitereien umschifft, weil man zusammenkommt in einem Moment, der in Harmonie entstanden ist. Keiner schreit den anderen an und keiner fühlt sich angegriffen. Hinterher kann man ein bisschen lachen.

Das kleine Würstchen in der Bar hätte ich wirklich gerne ausgelacht. Zu sehen, wie dermaßen verloren manche Menschen sind, wie sie sich an jeden Hauch von Aufmerksamkeit klammern, macht mich manchmal sprachlos. Aber hätte ich ihn ausgelacht, hätte ich mich auf die gleiche Stufe gestellt. Ich wäre laut geworden, so wie er, und hätte danach den Applaus des ganzen Publikums bekommen. Nein, der war nur für den Künstler bestimmt. Und wenn ich meinen eigenen Raum ausdehne, dann schütze ich auch den von anderen.

Mit diesen Worten verabschiede ich mich für einige Wochen nach Indien und hoffe, dass ich mit ganz vielen Erfahrungen und daraus resultierenden ani.gedanken wiederkomme. Namaste!

© 2013 Ani 

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