Samstag, 24. Dezember 2011

Treffen wir uns in der Mitte?

“How many special people change
How many lives are living strange
Where were you when we were getting high?”
(Oasis – Champagne Supernova)

Bei sieben Milliarden Menschen auf der Welt frage ich mich aus gegebenem Anlass zur Zeit des Öfteren, wie jeder Einzelne so lebt. Wer hat eine Macke, wer hat zehn davon? Wer behauptet, keine zu haben?

Was aber die viel wichtigere Frage ist: 
Wer nimmt sich heraus zu urteilen?
Ich habe in letzter Zeit durch wechselnde Arbeit und verschiedene Länder die unterschiedlichsten Menschen kennen gelernt und mittlerweile gemerkt, dass ich so viele davon zu schätzen weiß, selbst wenn sie komplett anders leben, als ich es tue, andere Wertvorstellungen pflegen oder mich als Menschen viel weniger wahrnehmen, als ich sie.
Das alles zählt aber nicht. Viel wichtiger ist es doch, von jedem etwas mitzunehmen.

In einer Welt, die so verschiedene Menschen auf die unbeschreiblichsten Weisen zusammenbringt, gibt es oftmals große Explosionen. Muslime und Christen verlieben sich und einer von beiden wird gezwungen, seinen Horizont zu erweitern, sprich: entweder auf 72 wartende Jungfrauen (plus/minus) im Himmel zu verzichten oder sich ein Kopftuch übers europäische Haar zu werfen. „Wir werden irgendwann in unserer Beziehung an eine Grenze kommen. Ich will nur, dass dir das bewusst ist.“ Während der eine das als Problem sieht, erwidert der Andere: „Ich weiß. Aber das ist doch der Reiz, wenn man das Risiko auf sich nimmt und nicht nur über den Tellerrand schaut, sondern springt.“ Und dann ist der Muslime still und ob er sich heimlich von seinem himmlischen Willkommens-Komitee verabschiedet, das weiß nur er.
Dann gibt es welche, die anfangen, ihre Krankheit zu akzeptieren und schließlich aufstehen. Sie verschwinden für Wochen, nicht aus den Herzen, aber irgendwie erst mal aus der Realität. Sie entscheiden sich bewusst für den Weg der Heilung und unterbrechen diesen nicht mal an Weihnachten. Sie ziehen es durch und sie werden stärker und optimistischer und am Ende sagen sie, dass sie so „Bock aufs Leben“ hätten, dass man sich selbst fragt:
Wo ist eigentlich mein Hunger auf mein eigenes Leben?

Es gibt so viele unterschiedliche Lebensweisen, dass es mir einfach unmöglich erscheint, über einzelne ein Urteil zu fällen. Ich habe eine Freundin, die so spät angefangen hat zu rauchen, dass es schon fast traurig ist. Ich habe einen Freund, der auf HipHop steht und mit meiner Musik nichts anfangen kann – also hören wir gemeinsam Jazz, denn das ist die Schnittstelle. Und wiederum ein anderer Mensch in meinem Leben findet jeden Film, den ich mag, scheiße. Also bestehen unsere Konversationen aus Diskussionen. Wem das zu anstrengend ist, der kommt halt nie an den Punkt, wo „Störung zur Reibung führt und Reibung zur Wärme.“ Chance vertan.
Ich selbst erlebe es, verurteilt zu werden und dann merke ich, dass ich mich aber auch bewusst dagegen entscheiden kann. Ich habe meine Lebensweise teilweise sorgfältig, teilweise beschwippst überdacht und dann verkündet, dass ich sie ehrlich gesagt ziemlich fabulös finde und nein, ich stimme keiner Verurteilung zu – wie auch, kein anderer Mensch hat eine Ahnung, niemand ist jemals in meinen Schuhen gelaufen (nicht mal in diesen ganz schlimmen Buffalos, Baujahr 1997) und vor allem hat mir bis jetzt keiner meine Entscheidungen abgenommen.

Wir wachsen alle immer mehr zusammen und das sollten wir auch langsam mal im Herzen. Wer hat überhaupt die Zeit, den ganzen Tag zur urteilen? Ich nicht, denn in meiner freien Zeit lerne ich Menschen kennen, die so sind, wie sie sind – das ist spannend genug, da muss ich gar nichts hinzudichten oder mit fiesen Sprüchen kompensieren, dass ich jemanden hübscher, erfolgreicher, intelligenter oder schlanker finde. Derjenige denkt sich sowieso das Gleiche über mich, also drehen wir uns folglich nur im Kreis.

Ich weiß, dass es schwierig ist, Menschen so viel Raum zu geben, wenn die Emotionen dazukommen. Manchmal will man jemanden schütteln, man möchte ihn vor den Fernseher platzieren, fesseln, 10 Stunden mit deutscher Comedy missbrauchen und anschließend mit Justin Bieber auf Welttournee schicken. Aber was hilft es, wenn man den anderen nicht ändern kann? Wenn Werte so tief sitzen, wie der Tiefspüler mancher Toiletten und wenn Emotionen so festgefahren sind, dass es einfacher erscheint, an Weihnachten einen Osterhasen aufzutreiben, als sie loszulösen? Nichts, nada, Finger weg. Menschen kann, darf, soll man nicht verändern. Vielleicht ein bisschen sticheln, hier und da ein wenig erpressen und manipulieren, gerade gegenüber Männern erweisen sich diese Mittel als äußert zweckerfüllt und rein intuitiv genutzt. Aber das war’s dann auch schon.

Es gibt sieben Milliarden Menschen auf der Welt. Und jeder ist nur auf der Suche nach Liebe. Während er sucht, macht er andere Erfahrungen, er schlägt andere Wege ein und lernt andere Menschen kennen – wie soll er denn dann so sein, wie du?
Übrigens gibt es sehr viele, die überhaupt nicht in Schuhen laufen. Und das ist ja wohl mal so richtig spannend.

-Für unsere Alice, die gerade noch im Wunderland ist-
© 2011 Ani

1 Kommentar:

  1. Das Leben und die Menschen sind so spannend, dass man immer Bock darauf haben sollte. Danke.

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