Zehn Tage Roadtrip durch Deutschland inklusive einem Kurzurlaub in der Türkei gehen zu Ende. Jetzt sitze ich hier im Auto auf einem Parkplatz im hohen Norden und versuche, Revue passieren zu lassen, was da los war in den letzten Tagen.
Ich schlüpfte in so einige Rollen auf diesem Trip. Gestartet bin ich als Freundin, mit dem Auto nach Berlin, und habe mich dort wieder einmal mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass ich dieser Stadt leider herzlich wenig abgewinnen kann. Es sei denn, das große Jobangebot würde hereinflattern, in diesem Falle freunde ich mich natürlich auch mit Siedichum an, einer wohl wirklich existierenden Gemeinde in Ostdeutschland.
Von Berlin aus ging es in die Türkei, Verwandtschaftsbesuch. Und zwar nach einigen, vorangegangen Aufenthalten meinerseits in diesem Land, vor allem in einer Zeit, als ich aufgrund meines Niedlichkeitsfaktors (wo ist der eigentlich hin?) auf einem Markt gegen drei Kamele getauscht werden sollte. Verziehen habe ich das meinem Vater bis heute nicht so wirklich, daher auch hier schwarz auf weiß für alle, die es wissen wollen. Zwar habe ich mir sagen lassen, dass drei Kamele eine ordentliche Tauschpartie gewesen sein sollen, aber auch dieses Wissen kann meine Wunden nur vorübergehend notdürftig schließen.
Nun war ich also wieder einmal in diesem schönen Land, nur diesmal war alles anders. Mit Einheimischen den Alltag zu erleben, ist nun mal Gold wert. Küsse hier, Knutschereien da, man wird in die Backe gekniffen, auch mit 25, und man gehört zur Familie, auch wenn man unterm Strich ja gar nicht zur Familie gehört.
Ein Strandhäuschen am Meer, die Füße und Seele baumeln lassen, das kann schon was. Mein größtes Luxusproblem stellte wahrhaftig das Essen dar. Wir wurden dreimal am Tag nicht verwöhnt, sondern eher gemästet, alle paar Stunden erklang die glockenhelle Stimme der Babane, wir schauten uns an, dann unsere Bäuche, dann wieder in die Augen und sahen die schiere Verzweiflung des Anderen: Wie um Himmels Willen sollte man diese Massen an unfassbar gutem, türkischem Essen in sich reinstopfen, wenn man das Hungergefühl das letzte Mal in Deutschland gespürt hatte?
Egal, wir taten es einfach. Die Bäuche wuchsen prächtig auf den schätzungsweise 6. Monat an und legten sich neben uns abends ins Bettchen. Das Schicksal annehmen und akzeptieren lautet auch hier die Devise.
Weiter ging es in schöne Städtchen, in eine Großstadt, auf Märkte, wo Genuss und Ekel nah beeinander wohnten. Von Einkaufszentrum zu Einkaufszentrum wurden wir verwöhnt, verwöhnt, verwöhnt. Herr-lich, da wollte man gar nicht mehr zurück, nicht einmal angesichts dessen, dass es jeden Tag stolze 38°C gab, die uns schlichtweg verbrutzelten.
Mit unendlich vielen Klamotten, Souvenirs und noch warmem - weil frisch gemahlenem - türkischem Kaffee im Gepäck, ging es zurück nach Berlin. Nach dem turbulentesten Flug meines Lebens (atmen), wurden wir in der Hauptstadt mit angenehmen 15°C und Regen empfangen – ach ja, man freut sich eben immer, nach dem Urlaub wieder zu Hause im schönen Deutschland zu sein. Gott sei Dank wartete dort um 7Uhr morgens ein hübsches Bettchen in einer tollen WG auf uns, in das man einfach reinfallen und einschlafen konnte. Fabelhaft, diese Freunde auf dem Weg, diese Perlen am Wegesrand.
Nun war ich also Freundin, Halbverwandte, Flugbegleiterin gewesen. Was stand danach an? Ach ja, richtig. Coach und Beifahrerin auf dem Weg zu diversen Vorstellungsgesprächen. Was braucht man dafür? Ein Auto. Warum holt man dieses nicht pünktlich ab? Man weiß es nicht. Das Ende vom Lied: Wir stehen vor einer geschlossenen Autovermietungsfiliale, mit fünf Gepäckstücken und gebügelten Hemden in der Hand, mitten in Berlin. Abends. Wann und wo war nochmal das Vorstellungsgespräch? Richtig, am nächsten Morgen, ein paar läppische Kilometer entfernt.
Am Flughafen würde noch ein Auto für uns bereit stehen? Das ist ja nett, na gut, dann fahren wir doch nochmal da hin, war ja schön dort.
Imaginäre Vorstellungsgespräche auf der Autobahn Richtung Norden bei wunderschönem Sonnenuntergang können definitiv Spaß machen - meine persönliche Notiz am Rande für irgendwann. Auch, als wir an Herzsprung vorbeigefahren sind und ich dadurch an einen meiner Lieblingsromane erinnert wurde, wurde auch mir ein bisschen warm ums Herz, dachte ich doch, der Ort sei ausgedacht gewesen. Schön, dass es nicht so war.
Endstation ist noch nicht, heute Abend düst unser Vehikel noch nach Hamburg, dort schlüpfe ich in die Rolle der Cousine, mache meinen eigenen Verwandtenbesuch und freue mich, das Meer von seiner deutschen, untürkischen Seite zu sehen.
Am Ende gab es dann doch aber auch so einige Irrungen und Wirrungen, wir sind eben einfach doch in einem Alter der ausgeprägten Sturm-und-Drang-Zeit. Es entstanden Gespräche, die nur Nährboden hatten, weil man viel zu viel Zeit zum Grübeln hatte. Also fing man an, über Dinge zu philosphieren, letztendlich zu diskutieren, die im Alltag gar keinen Raum hätten. Wir aßen ohne Hunger, wir schliefen in den bequemsten Betten und manchmal auf Luftmatratzen. Auch erfuhren wir immenses Insiderwissen über Verschleißteile an U-Bahnen und wissen nun, wann man am besten schwarz fahren könne und wann man es lieber lassen sollte. Wir checkten in einem Hotel ein, was dann doch eher ein luxuriöses Hostel war, mussten für mich, weil zweite Person, auch noch extra zahlen, und wir klauten regelmäßig den Zucker auf den Tischen. Oder Nutella. Oder Marmelade. Heute morgen sogar Brot. Ich nicht, der Andere.
Nun geht’s nach Hamburg, die Perle, schön, wie die Geschichte sich schließt, wenn man bedenkt, dass die türkische Stadt auch als Perle bezeichnet wurde. Dort war übrigens beim Abschied einer der letzten Sätze, dass wenn ein Mädchen wieder mitgebracht werden würde, dann nur ich. Dann wurde in meine Richtung gedeutet. Und spätestens da schloss ich alle in mein Herz, die Perlen auf dem Weg.
© 2012 Ani
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