Montag, 20. August 2012

Ich habe heute leider keine Meinung für dich

Große Klappe, viel dahinter.

So manch einer erfüllt das ganz gut. Es gibt Menschen, die sind, wie sie sind und zwar immer. Egal, ob sie schwitzend im Anzug einen Vortrag halten müssen oder mit Freunden am Tisch sitzen und ein Bierchen trinken – sie haben immer die gleichen Witze und Anekdoten parat, tragen das Herz auf der Zunge und sind allseits beliebt – zumindest bei denen, die ehrliche Kritik vertragen können.

Und dann gibt es die Leute, die nicht nur verschiedene Outfits, sondern verschiedene Charaktere tragen. Manche dieser Gattung passen sich einfach so unglaublich gut an, dass man am Ende des Abends gar nicht bemerkt hatte, ob derjenige nun anwesend war oder nicht. Das sind Leute, die sich fortbewegen wie Amöben – schleichend und anpassend, die können in jede Ritze kriechen oder sich an Ecken und Kanten anschmiegen.
Faszinierend, wie sie wohl morgens vor dem Kleiderschrank stehen und sich überlegen, ob sie heute eher sportiv, modisch oder doch casual in den Tag starten – taddaa, ist das Outfit erstmal angelegt, da zieht der Charakter nach, die Amöbe startet in den Tag und jedem, dem sie begegnet, ist sie sympathisch – klar, sie stimmt ja meist überein, ist unkompliziert und wenn's Zeit wird, dann schleicht sie sich davon.

Es gibt neben den Amöben aber auch noch die stillen Wasser und es gibt, wie wir ja sowieso wissen, die lauten Wasser. Das ist ziemlich einfach gesagt und sehr pauschalisierend, ich weiß, ich weiß.
Die Basis dieser Lebenseinstellungen ist natürlich eine Frage des Charakters, aber ich wage zu behaupten, dass mit wachsendem Selbstbewusstsein auch eine deutlichere Meinung zum Ausdruck kommt. Klar, diejenigen, die am meisten rumnörgern und bei den anderen Menschen immer gleich den wunden Punkt suchen, finden und drin herumpieken, bis es jeden im Umfeld genauso schmerzt, haben einfach keine Eier(stöcke) und wollen sich nur davon überzeugen, dass ihr Gegenüber auch keine besitzt.

Also ja, wir alle kennen diese Ausnahmen, aber im Grunde ist es doch so: Jemand, der in einer Gruppe zu seiner Meinung steht, ist oftmals das Alpha-Tierchen. Derjenige wird angehört, man respektiert ihn und lässt das Gesagte oftmals nachschwingen, weil es einfach so präsent ist.
Die stillen Wasser haben oftmals genauso interessante Ansichten, doch dauert es viel länger, diese zu erfahren, bei manchen schafft man es nie, bis auf den Grund zu kommen. Schade, denn meistens verbergen sich in den Tiefen solcher Menschen die größten Schätze. Ein stilles Wasser kann faszinierend sein, aber wenn man eben am Ende des Tages immer noch nicht den Mund aufkriegt, schwindet ganz schnell das Interesse und man hält sich wieder an diejenigen, die einen leiten, selbst wenn sie es manchmal gar nicht bemerken.

So läuft es dann auch oftmals mit Entscheidungen ab. Während die ruhigeren, in sich gekehrten Gattungen vieles mit sich selbst ausmachen, ausharren, Pro-und Contra-Listen schreiben, ist der Mensch mit dem Herz auf der Zunge doch meist ein Schnelldenker, der letztendlich mit dem Bauch entscheidet, weil ihn das viele Abwägen zu sehr quält und dadurch nichts vorwärts geht.

Es ist wirklich schwer zu entscheiden, wann man wie reagieren sollte. Ist es immer sinnvoll, komplett authentisch zu sein, auch wenn man in dem Moment jemand Anderem auf die Füße tritt, dafür aber ein paar Lacher und Schenkelklopfer einheimst? Oder ist es durchaus angebracht, auch einfach mal die Klappe zu halten und erstmal zu sinnieren?

Ein treffendes Beispiel aus meinem eigenen Repertoire: Eines Abends in einer dunklen, schummrigen, zwielichten Bar (ich übertreibe), kam ein Typ daher, atmete tief ein und setzte zu seinem unglaublich galanten Anmachspruch an. Bevor er den Satz beendet hatte, sagte ich laut – jedoch mit einem Augenzwinkern - „Nein“, was die arme Amöbe so sehr verunsicherte, dass sie schleunigst von dannen zog. Kurze Zeit später pirschte der junge Herr sich wieder an, um mich darauf hinzuweisen, dass meine Art und Weise verletzend sei. Ich entgegnete daraufhin, dass das Nein ein Spaß war und er wohl keine Eier hätte (aha!), wenn ihn so ein kleines Wörtchen davon abhielt, mich weiterhin anzusprechen. Daraufhin ging die Amöbe in sich und stimmte kleinlaut zu.
Ich gebe zu, dass ich kurz überlegt hatte, ob das zu fies gewesen war, aber im Endeffekt war ich eine Frau und er ein Mann und während wir Frauen so manche Schwachstellen in der Evolution meistern mussten (und das immer noch tun), wollte ich erwarten, dass so ein Kerl auch mal die Chance bekommt, etwas zu lernen. Und seinen Beitrag zur verkorksten Paarungswelt leisten kann.
Abgesehen davon: Aus uns hätte nie etwas werden können. Dann lieber gleich den Bauch entscheiden und das Herz auf der Zunge sprechen lassen.

Jeder ist anders, keine Frage, und ich habe so manches stille Wasser in meinem Umfeld, was mich immer wieder erstaunt, wenn es dann auf einmal einen kleinen Einblick gibt und etwas sagt, was so unglaublich klug, überdacht und außergewöhnlich ist, dass ich diesen Menschen unbedingt um mich haben möchte, egal, wie lange es dauert, bis man wiedermal auf den Grund sehen kann. Diese stillen Wasser sind ja nicht automatisch Amöben und die Amöben sind nicht automatisch stille Wasser. Eine ziemliche Arbeit leisten allerdings beide, denn während das Wässerchen lange standhält, bis es etwas preisgeben möchte, schmiegt sich die Amöbe immer wieder neu an, passt sich an, verformt sich und hat in jeder Sekunde eine passende Meinung parat – nämlich meist deine Eigene.

Bleibt nur noch die Frage offen, ob die Amöbe letztendlich wirklich einen eigenen Standpunkt vertritt, aber das weiß wohl nur sie oder eventuell ihre Amöbenfreundin – es sei denn, sie stimmen überein, dass sie dies nicht wissen.

© 2012 Ani

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