Donnerstag, 6. September 2012

Bitte eine Sinnkrise und eine kleine Cola

Das Leben ist eine Baustelle.
Auf diesen unglaublich intelligenten, weil noch nie da gewesenen Satz, bin ich gekommen, als ich am Schreibtisch saß, aus dem Fenster schaute und auf einmal diverse Männer mit Werkzeugen in der Hand vorbeiliefen. Moment, dachte ich mir, ich wohne doch im fünften Stock. Quasi näher am Dach, als an der Straße.

Ach ja, richtig, die Bauarbeiten hatten begonnen. Während nun also gebohrt und gehämmert wird für läppische neun Wochen (plus minus, man weiß ja nie, wie es kommt im Leben), musste ich mir überlegen, entweder nicht mehr in Unterwäsche durch die Wohnung zu hüpfen oder den ganzen Tag im abgedunkelten Raum zu sitzen. Um mir für diese existenzielle Entscheidung ein bisschen Zeit zu nehmen, zog ich vorerst die Jalousien herunter. Ich war verwirrt, der Andere auch, der stemmt jetzt nämlich wieder Gewichte, denn die Bauarbeiter könnten ja oberkörperfrei und mit Cola in der Hand ihr Päuschen machen.

Ich schaue nach draußen.

Dann doch bitte das Oberteil anlassen, besten Dank, und weiter geht’s. Ach ja, wer reinguckt, der fliegt. Und zwar vom Gerüst – vielleicht sollte ich das kurz kommunizieren?

Jedenfalls haben diese netten Herren sich nicht nur mit ihren Werkzeugen in mein Hirn gebohrt, sondern auch ein paar Gedanken ins Rollen gebracht.
In allen Leben, die mir so über den Weg spazieren, wird gerade gebastelt und geheimwerkelt, was das Zeug hält. Während die Einen sich in einer Sinnkrise befinden und diese ausleben (ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll, ich glaube, ich promoviere einfach mal), rennen die Anderen davon, ihre Sinnkrise rennt keuchend hinterher (ähm, ich geh mal reisen, in Asien soll man sich mit Pilzen selbst finden können). Die Nächsten beenden im Schnelldurchlauf ihr Studium, nur um noch schneller die Stadt zu verlassen (als ob es woanders anders wäre) und dann gibt’s die, zu denen zähle ich mich gerade, die sitzen halt da und schauen aus dem Fenster und dann gucken sie in den Kühlschrank und dann öffnen sie auch mal die Tür und schauen da mal, ob was passiert. Manchmal muss man auch einfach mal warten, das ist teilweise eine gewisse Lethargie, die da gerade aus mir spricht, aber auch teilweise die pure Weisheit, jawohl.

Träumen, Schäumen, Plänen und Ideen hinterherzurennen, bringt manchmal gar nicht so viel. Das ist genauso, wie Krankheiten im Internet zu googlen. Du findest immer etwas, aber ob es das ist, was du finden wolltest, das ist die Frage. Und die Antwort dazu gibt es leider nicht bei Google, die findest du nur in dir, also abwarten und fest verwurzelt sitzen. Und atmen, das vergisst man ja auch ab und an.

Ich bin ja grundsätzlich pro Finden. Sich in sich selber oder wahlweise in jemand Anderem, wie dem auch sei, wenn man mal was gefunden hat, womit man leben kann und will, dann ist das ja wirklich was wert. Aber dieses ständige Herumwerkeln am Leben, sich schon fast selbst zerreißen, nachts nicht schlafen zu können, um dann morgens von der Baustelle des Lebens sanft wachgehämmert zu werden, das ist ja nichts auf die Dauer.

Wir. Sind. Generation. Sinnkrise. Aber Obacht, das kann ja auch was Gutes sein. Die Auswahl an Möglichkeiten ist unbegrenzt, nur bauen wir uns selbst unser kleines Gefängnis und sitzen da jetzt drin. Wir haben uns gegenseitig hochgepusht: Was ist mittlerweile ein Lebenslauf wert ohne Studium von Fächern, die sich kaum aussprechen lassen, Auslandsaufenthalt verbunden mit der Betreuung von 20 schwerst-erziehbaren Kindern, deren Sprache man nicht spricht, Praktikum im Forschungslabor inkl. Mitwirkung an der wissenschaftlichen Stagnation diverser Pharma-Unternehmen? Eben.

Ich glaube nicht an den Druck der Gesellschaft, ich glaube, der herrscht nur in einem selbst. Und da er in den meisten herrscht, herrscht er eben größtenteils in der Gesellschaft. Wir machen ihn uns selbst und dann schieben wir ihn nach draußen, weil es einfacher ist. Wäre man glücklich und zufrieden, egal, ob man seinen Job ausgezeichnet oder vielleicht nur mittelmäßig macht, dann transportiert man das nach außen, wird automatisch besser und die Gesellschaft hat einen lieb. Hört sich einfältig und naiv an, ja, das ist die Taktik von Kindern, aber wie es Kindern so geht und was deren Meinung über den Tag mit der Mareike im Kindergarten war, das muss ich jetzt nicht ausführen, oder?

Es sagt ja keiner, dass das leicht ist, zurück in die Kinderschuhe, die müssen ja erstmal wieder angepasst werden.
Die Umstände, also die Baustelle zu akzeptieren, ist höllenschwer. Ihr dann nicht den Rücken zuzuwenden, sondern auf die Ohropax zu verzichten, hinzuhören, was sie einem zu sagen hat, und dann danach sortieren, leben und weitergehen – das ist wohl die Kunst. Diejenigen, die das machen – und ich kenne Leute, die das können – die bewundere ich sehr. Mehr davon sollen es werden, am besten wir alle.

Ich schaue weiterhin aus dem Fenster und arbeite an meiner positiven Ausstrahlung (ich muss gerade sehr lachen). Aber ich arbeite dran. Im Sitzen. Und ich glaube dran.
Da, ein Bauarbeiter. Vielleicht setze ich jetzt mal ne Kanne Kaffee für die auf. Das macht sie bestimmt glücklich, verbessert mein eigenes Karma und ich bin mindestens zwei Minuten so intensiv beschäftigt, dass ich am Abend erzählen kann, welch großen Beitrag ich für die Gesellschaft heute geleistet habe.

© 2012 Ani

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