Samstag, 27. Oktober 2012

Jenseits von Afrika


Ich sitze in einem alten Mercedes-Benz-Taxi, welches so aussieht, als sei es weder vom genannten Unternehmen hergestellt, noch überhaupt in diesem Jahrhundert auf die Welt gekommen.
Das Schöne daran ist, dass ich diese dezent gefährliche Fahrt nicht mit Beinfreiheit krönen kann, sondern sie mit fünf weiteren Touristen und dem äußerst kompetenten Fahrer mit Hundeblick teilen darf. Dass man auf der Autobahn angehalten wird, weil man unangeschnallt ist, jedoch ein sogenanntes Grand Taxi erst dann losfährt, wenn vorne drei und hinten vier Menschen sitzen (Gurte nicht einmal vorhanden), ist eventuell etwas widersprüchlich. Knappe 10 Stunden Fahrt liegen vor mir, die Freude des Anderen neben mir hält sich in Grenzen, seine Magen-Darm-Grippe eher nicht.

Ja, ich hätte es besser wissen müssen. Marokko war schon 2010 nicht mein Land gewesen, hatten doch mein damaliger Freund und ich in der Medina von Rabat endgültig beschlossen, uns zu trennen.
2012 ist zwar die Liebe auf meiner Seite, das Land eher weniger. Wo soll ich anfangen?

Die Auswahl unserer Erfahrungen ist groß. Gestartet waren wir zu zweit in Marrakech – sehr chaotisch, weil statt klimatisiertem Mittelklasseauto uns ein Gefährt erwartete, das beim Anblick schon auseinanderfiel. Die Abwicklung unseres Mietautos lief auf der Motorhaube ab, die Kreditkartendaten wurden als Kautionsersatz abgepauscht – eher belustigt als genervt stiegen wir ein und schlichen drei Stunden Richtung Westen, dem Sonnenuntergang und Essaouira entgegen, um den Anderen zu überraschen, der dort schon weilte.

Es folgte ein entspannter Tag in einem mittelalterlichen Fischerdörfchen, wo man Streitereien zwischen „Happy Cake“-Verkäufern so anzetteln kann, dass der Ausbruch eines dritten Weltkrieges nicht weit entfernt scheint. Auch wissen wir dank wichtiger Recherchen meiner Freundin, dass Strandliegenverkäufer nicht das halten, was sie optisch versprechen. Schade eigentlich.

Nachdem ich lange überlegte, den süßesten Hundewelpen der Weltzone 4 (in dieser befanden wir uns laut Handynetzbetreiber) mitzunehmen und den Abend damit verbrachte, am Set von „Game of thrones“ die Dreharbeiten zu verfolgen, ging es am nächsten Tag mit unserem Tuk-Tuk in den Norden – die wortwörtlich atemberaubende Altstadt von Fés wartete auf uns, gefolgt von Avocado-Shakes und dem nettesten Hostelbesitzer mit dem schönsten Lächeln der Zone 4, was nach erneuter Recherchearbeit leider auch hier nicht das hielt, was es vorerst versprach (an dieser Stelle möchte gesagt sein, dass der „Lonely Planet Love: Marokko“ schon in Bearbeitung ist).

Nach zwei Tagen ging es im Morgengrauen zurück nach Marrakech, Schrottschüssel abgeben und von dort aus mit dem Bus in das Atlasgebirge. Die drei Tage, an denen es in Afrika regnet, hatten wir uns anscheinend auch reserviert, und zwar für den „good price, my friend“, und so kam es, dass wir im strömenden Regen bei Nacht auf einer verlassenen Kreuzung ankamen, wo ein Taxifahrer auf uns wartete, der uns weder Gepäck abnahm, noch begrüßte. Als er Ersteres dann in einen überfluteten (keine Pfütze, my friend) Kofferraum schmeißen wollte, bin ich kurz ausgerastet und wir verfluchten ihn die komplette Fahrt lang auf deutsch. In Cascad d' Ouzoud angekommen, wurden uns folgende Dinge angepriesen: Die beste Tajine überhaupt (schmeckte nach rein gar nichts), ein Hammam, welches sich als einzelner Duschschlauch in einem leeren, gefließten Raum entpuppte und musikalische Untermalung des Abends, proudly presented by Zahnlücken-Cowboy Isham. Wir täuschten eine exorbitante Magen-Darm-Erkrankung vor und flüchteten zu Abdul, in sein kleines, aber feines Hotel, welches direkt an den Wasserfällen lag.
Daraufhin erst einmal eine Wanderung, bei der wir ab und an vom Weg abkamen. Entschieden haben wir uns dann eher doch für die Klettertour, barfuß durch Flüsse und vorbei an einer halb verwesten, uns entgegenreckenden Ziege. Abdul erklärte uns später, dass diese Schlucht normalerweise nur mit erfahrenen Bergführern bewandert werden würde und wir Großes geleistet hätten. Aha.

Der weitere Plan war, einen Tag später den Nachtbus nach Rissani, also in die Wüste, zu nehmen und was soll ich sagen, außer: Der Bus fuhr ab, jedoch ohne uns. Ein religiöses Fest, bei dem schätzungsweise alle Schafe des Landes geopfert wurden, lies Land und Leute (auch Sofas) zu den Familien reisen und hielt für uns nur den Gepäckraum des Busses als großzügiges Angebot bereit. „Die hätten uns da bestimmt was reingebaut“, meinte der Andere wehmütig, während der Bus abfuhr und ich ihn mit bösen Blicken und Tränen in den Augen strafte. So blieb uns nur die Option, die ganze Nacht in einem kalten, stehenden Bus zu schlafen, weil der Nächste erst wieder um 5h morgens fuhr und alle Hotels überfüllt waren (das Schaffest, ich verstehe).

Nach dieser weiteren Odysee kamen wir fix und fertig in Merzouga an, ein Camp vor den Toren der Sahara, wo leider die größte finanzielle Abzocke des Urlaubs auf uns wartete. Zuerst aber ritten wir auf Dromedaren in die Dünen, überwältigt von der Wüstenschönheit konnte ich auch kurz die unglaublichen Schmerzen verdrängen, die so ein Ritt mit sich bringt.
Dort verbrachten wir den Abend mit zwei weiteren Touristen, darunter Anthony, dessen staubtrockener (siehe Wüste), britischer Humor ein großes Highlight der letzten Tage für mich war.
Als wir nachts im Beduinenzelt Zeugen einer sexuellen Belästigung einer Mitreisenden wurden, packten wir am nächsten Tag unsere Sachen und ritten zurück zum Camp. Zwei Stunden lagen vor uns, in denen wir ernsthaft darüber debattieren mussten, dass nach so einem Vorfall nur eine Lösung für uns in Frage kam: Geld zurück, und zwar alles, auch, weil wir am Abend in der Sahara noch von den Engländern erfahren hatten, wie viel mehr wir bezahlt hatten für weniger, als tatsächlich geleistet wurde. Dass eine Amerikanerin, die wir kurz danach noch kennenlernten, das 6-fache von unserem Preis für die Hälfte des zeitlichen Aufenthalts löhnen musste, brachte das Fass zum Überlaufen und für mich war Polen offen – auch in der Wüste.
Das Ende vom Lied: Nur das Geld der Mitreisenden fand seinen Weg zurück in ihren Geldbeutel, plus eine Taxifahrt nach Marrakech hatten wir bezahlt bekommen – der Anfang vom Ende.

Mein Fazit? Ich habe große Probleme mit Marokko, auch wenn ich mir versuche vorzustellen, dass sich dieses Land von einer besseren Seite zeigen kann.
Die Frage, die ich mir allerdings nebenher die ganze Zeit stelle, ist die: Wo sind all die Frauen, die all diese Männer auf die Welt gebracht haben? Eventuell auch mittlerweile jenseits von Afrika?

© 2012 Ani

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