Montag, 1. Oktober 2012

Darf ich vorstellen: Der Unsympath


Wir finden jemanden sympathisch, wenn wir mit ihm auf einer Wellenlänge sind. Quasi einen Gleichklang ergeben, das sagt die Psychologie.

Hört sich hochtrabend an, ist aber im Grunde total einfach. Jemand betritt einen Raum, man schaut sich den Menschen an und hat dann innerhalb von drei Sekunden entschieden, ihn zu mögen oder nicht. Nettes Lächeln und Blickkontakt schreibe ich hier mal riskant auf die Seite „sympathisch“. Derjenige hat erstmal gewonnen.

Kommt aber jemand zur Tür herein, lässt den Blick nur über dich hinweg wandern, stellt sich also nicht vor und zeigt auch sonst keinerlei Interesse, dann muss diese Person männlich und äußerst attraktiv sein, denn in allen anderen Fällen (beispielsweise weiblich und äußerst attraktiv) hat derjenige, sprich diejenige, sofort verloren und dann kann es eine Weile dauern, bis man es sich anders überlegt.

Wir sind alle voller Vorurteile und das macht es beim Kennenlernen oftmals schwierig, denn so einige unserer Zeitgenossen bauen Mauern aus Coolness um sich auf, während das, was dahinterliegt, vielleicht genau die Wellenlänge wäre, auf der man selbst reitet. Dahinterzublicken ist eine Option, zu der wir aber meist keine Lust und zu wenig Zeit haben, es gibt zu viele von ihnen.
Also hangeln wir uns an Richtlinien entlang, beispielsweise guter Humor, die Fähigkeit, dem Gegenüber zuzuhören, Gemeinsamkeiten. Deswegen lernen z. B. Raucher im Schnitt viel schneller jemanden kennen, weil es mittlerweile anerkannte Raucherpausen in Büros gibt und auch vor den Bars tümmeln sich die Leidensgenossen – man hat gemeinsame Themen (Feuer, Wetter, Zigarettenmarke) und schwupps ist die Schnittstelle gemeistert. Stellt sich dann heraus, dass das Gegenüber aber trotzdem irgendwie doof ist, kann man sich weiterhin auf Small-Talk-Niveau unterhalten (Feuer, Wetter, Zigarettenmarke) und das für sich aus der Konversation mitnehmen, was wichtig ist (Zigarette schnorren).

Über Menschen, mit denen ich nichts anfangen kann, kann ich mich wenigstens exorbitant aufregen. Z. B. saß ich neulich in der S-Bahn und unterhielt mich angeregt mit einer Freundin am Telefon, von der ich seit Monaten nichts gehört hatte, als mich ein wildfremder Mann ohne „Entschuldigung“ zu sagen oder sich zu erklären, mittendrin anspricht und unterbricht. Nachdem ich kurz geantwortet , dies aber mit einem strafenden Blick unterlegt hatte, tat er es immer wieder. Frage mich bis heute, was der an mir wohl sympathisch fand, als er sich am Ende bedankte und mit einem Lächeln ausstieg.

Was ich auch ungemein nervtötend finde, ist, wenn jemand, den ich sowieso nicht mag, dann auch noch anfängt, eine Diskussion über meine eigenen Vorlieben zu führen.
Ein zeitgenössisches Beispiel: Vor einigen Monaten habe ich aufgehört, Fleisch zu essen – aus Gründen, die ich niemandem in der heutigen Fleischkonsumzeit eigentlich erläutern müsste.
Zum Verständnis möchte ich sagen, dass meine engsten Freunde Fleischesser sind und ich weder missioniere, noch im Stillen Tofu ins Essen schnippele. Sein eigenes Essverhalten soll, darf und kann jeder für sich selbst entscheiden.
Was mich aber so unfassbar uffrescht ist, wenn sich da jetzt jemand hinstellt und so dermaßen intelligente Sätze von sich gibt, wie „Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg“ (Achtung, alles lacht) oder, mein persönlicher Klassiker, „warum sollte ich auf Fleisch verzichten? Ist ja voll bescheuert!“ Da fange ich dann leider an, dezent von innen heraus zu schäumen und rot anzulaufen, denn nein, ich bin kein Übermensch und schaffe es trotzdem und nein, ich mache das nicht, weil mir langweilig ist und ich sonst nichts mit mir anzufangen weiß. Des Weiteren setze ich mich dir, du schlaues Kerlchen, auch nicht in Kambodscha am Tisch gegenüber und sage „Lass ihn dir schmecken, den kleinen Welpen. Vielleicht isst du ja heraus, dass er nur noch drei Beine hatte.“
Damit würde ich mich ja leider auf das gleiche Niveau begeben, also esse ich stillschweigend vor mich hin und wünsche mir so sehr die Eier(stöcke) zu haben, um einfach zu sagen: Es tut mir leid, aber du bist mir unsympathisch und das ist gar nicht schlimm, aber aus diesem Grunde bin ich an keinem Gespräch interessiert.

Ich gebe zu, ich bin schnell bei meiner Meinungsfindung. Und da auch ein bisschen radikal. Aber nur, weil ich das selbst oft erlebe und es ja nicht so ist, dass man diese nicht ab und an revidieren kann.
Meine Freundin wird regelmäßig auf den ersten Blick für arrogant gehalten – ein Mädchen, das keiner Fliege was zu Leide tun kann und mit ihrer Tollpatschigkeit so manches Herz zum Schmelzen bringt.
Eine andere Freundin hat mich monatelang argwöhnisch an der Schule beobachtet, sodass ich sowohl Angst vor ihr, als auch Respekt ihr gegenüber verspürte. Als wir dann zufällig ins Gespräch kamen und merkten, wie sehr wir uns mochten, schmissen wir kurze Zeit später eine Pyjamaparty.
Und wiederum eine andere Freundin trug jahrelang ihre Bibel mit sich, selbst übervolle Bars und Clubs hielten sie nicht davon ab, betrunkenen Menschen daraus vorzulesen. Auch wenn ich sie in dem Bezug für äußerst verrückt halte, so liebe und schätze ich sie dadurch umso mehr.

Was sagt uns das? Klar, es ist menschlich zu urteilen und Meinungen zu festigen, auch strahlen wir oftmals etwas aus, was wir gar nicht wollen.

Im Großen und Ganzen sollte man also natürlich dazu bereit sein, ein paar Minuten länger im Unklaren zu verweilen und sich erst dann eine Meinung zu bilden. Das ist schwer, vor allem, wenn ich schon beim Hände schütteln merke, dass das mit uns beiden nichts wird. Sorry.
Das eigentlich größte Dilemma stellt sich dann heraus, wenn der Unsympath #1 dich total nett findet und gerne mal mit dir einen Kaffee trinken gehen möchte – jetzt, wo man doch befreundet ist. Uff. Vielleicht erzähle ich ihm, ich würde nur grünen Tee schlürfen und Kaffee verschmähen?
Sollte das jetzt jemand unsympathisch finden, ist das ok.

Für Lisar, meine sympathischste Unsympathin.

© Ani 2012

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