Manche sagen, die Koffer zu packen, sei eine Flucht. Andere wiederum meinen, dass das Reisen einen vorwärts bringt, wenn es darum geht, bei sich anzukommen.
Ich versuche das Ganze zu verbinden und sage:
- Es kommt darauf an, was du daraus machst.
- Es gibt einen wunderbaren Begriff und der nennt sich: Flucht nach vorne.
Ich ertappe mich sehr oft dabei (eigentlich ständig), wie ich vor meiner riesigen, goldenen Weltkarte stehe, die ich erst kürzlich zu meinem Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Die Karte hat eine goldene Rubbel-Oberfläche – jedesmal, wenn man einen neuen Ort besucht hat, kann man diesen freirubbeln und darunter zum Vorschein kommt eine andere Farbe und die ein oder andere Stadt des besuchten Landes. Abgesehen davon, dass ich mit ihr meine geografischen Kenntnisse immens verbessert habe, rüttelt sie mehrmals am Tag das Fernweh in mir wach.
Lange Zeit dachte ich, dass die Menschen, die ständig und immerzu unterwegs sind, nur weglaufen. Vor Problemen zu Hause. Vor Verantwortung dem eigenen Leben gegenüber. Vor sich selbst.
Denn wie auch in meinem für immer und ewig absoluten Lieblingsfilm „Into the Wild“ flieht der Hauptcharakter vor seinem eigenen Leben, vor der Verantwortung, etwas zu ändern und sich seinen Umständen zu stellen.
Diesen Schlag von Menschen kenne ich nur zu gut aus meinem näheren Umfeld. Es ist nichts daran zu verurteilen, nur festzustellen, dass das Reisen beschönigt wird und der Gedanke, weit weg zu sein, alles wegwischt, was einen derzeit blockiert.
Aber da wir alle intelligente, junge und fabelhafte Menschen sind, sollten wir uns doch mal mit dem Gedanken anfreunden, dass man alles immer mitnimmt. Das eigene Ich und Ego, das, was einen ausmacht, die Erfahrungen, die Leidenschaften und leider sogar auch die Menschen, die einen vor Ort nicht loslassen. Kein Mensch, von dem du dich hier und jetzt nicht lösen kannst, lässt dich ruhig schlafen, wenn du Ozeane zwischen euch baust.
Und dann gibt es die Menschen, die jahrelang reisen, zurückkommen und man merkt, dass sie irgendwo während dieser Zeit an irgendeinem Fleckchen auf dieser Erde bei sich angekommen sind. Sie wurden stärker, selbstbewusster und vor allem wussten sie ab jetzt, was sie wirklich wollten.
Ich wusste lange Zeit erstmal nur, was ich nicht wollte. Und während ich jeden Tag so einige Kilometer hinter mir lies, einen schweren Rucksack auf dem Rücken und Blei in den Beinen, so fragte ich mich täglich – laufe ich eigentlich am Ende des Weges mir selbst in die Arme oder renne ich geradewegs vor mir davon, und zwar so auffällig und bezeichnend, dass jeder nur noch den Kopf schüttelt?
Ich weiß die Antwort bis heute nicht. Aber ich weiß, dass ich mich jeden Tag mit mir beschäftigt habe und das ist etwas, was kaum einer noch tut. Und ich rede hier nicht von der Liebeskummer-Quatscherei mit Freunden oder der Jammerei am Stammtisch deines Vertrauens – das können alle, das ist alt, unproduktiv und langweilt.
Warum guckt der mich so komisch an? Warum lacht sie nicht über meinen Witz? Ist mein Outfit zu pink oder drücke ich damit perfekt aus, wie ich zu meiner Weiblichkeit stehe?
Warum bist du nicht einfach mal du selbst? Pink oder nicht pink.
Die meisten Wegläufer unserer Zeit erwarten Heilung von Außen. Es ist eine regelrechte Therapie-Welle über uns gekommen, Psychologen sind mittlerweile selbst schon in Psychotherapie und es ist schon fast ein bisschen uncool, nicht einmal wöchentlich mit jemandem die Wehwechen zu besprechen. Das ist ja alles schön und gut und in einer rasanten Gesellschaft wie unserer auch leider dringend nötig – aber wer geht nach Hause und macht dann auch wirklich seine Hausaufgaben?
Wenn man ein Problem hat, kann man es ja runterschlucken. Wenn der Körper nicht passt, kann man ihn ja ausstopfen, biegen und polstern. Wenn man zu wenig Aufmerksamkeit bekommt, rät der Friseur zu frechen Strähnchen, weil die ganz hipp und trendy sind und sogar die Gisela neu erstrahlen lassen.
Aber interessiert jemanden, was in der Gisela vielleicht gerade schief läuft? Da braucht sie keine Strähnchen für.
Es gibt für alles immer einen Ausweg, Ablenkung steht schon parat und im größten Notfall kann man ja das Herz auch schließen – ob die Herzenswünsche dabei ersticken, ist nichtig, da man es sowieso jetzt nicht mehr spürt.
Der Weg ist das Ziel. Diesen Satz hörte ich zum ersten Mal in der Mittelstufe am Gymnasium. Mein damaliger, stets gleichbleibend alkoholisierter Geschichtslehrer lachte immer schnaubend darüber. Doch ich habe das Zitat eigentlich sofort verstanden und vielleicht war auch das der Grund, warum ich am Ende meiner letzten Reise gar nicht ankommen wollte.
Wie schön, dass es deswegen im Leben Etappenziele gibt. Als ich an der Felswand stand, hielt ich ein Glas billigen Fusel in der Hand und betrachtete den Horizont. Irgendjemand flüsterte dann: Da kommt jetzt nur noch Meer – und irgendwann dann Amerika. Da saßen wir also, die Entdecker unserer Selbst. Und es machte Mut, dass sogar nach einer steilen Felswand noch was Neues kommt.
Ich packe also meinen Koffer und nehme mit? Nur mich. Harr Harr.
© 2012 Ani
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