Donnerstag, 24. Mai 2012

Little Miss Sunshine

Das erste richtige Sommergewitter 2012. Mein Kühlschrank vibriert, meine Heizung auch. Im Halbschlaf erschrecke ich und mein Herz fängt an zu rasen.

Schon immer hatte ich Angst vor Gewitter. Was mich einerseits fasziniert und mich wegen meiner Naturverbundenheit in den Bann zieht, schreckt mich andererseits so unglaublich ab.
Ich glaube, es ist die Gewalt an sich und das Wissen, dass wenn ein Gewitter über einen hereinbricht, man absolut ausgeliefert ist. Man kann nicht selbst entscheiden, wann es aufhört und wohin es zieht, man muss es einfach durchstehen.

Wann habe ich eigentlich angefangen, so ehrfürchtig davor zu sein? Vielleicht, als meine Oma mir die Horrorgeschichte erzählte, dass mal ein Blitz in den Dachstuhl des Nachbarhauses eingeschlagen hatte und das Ganze so eine Kraft besaß, dass sie im eigenen Haus einen halben Meter über den Boden gehoben wurde. Naja gut, an dieser Stelle wird mir irgendwie schlagartig bewusst, woher ich meine Neigung zur Übertreibung habe.

Egal, wo war ich? Genau, ich wollte einen intelligenten Schlenker vom Gewitter zum Menschen machen.
Wir alle haben sie in uns, diese Naturgewalt, irgendeine Kraft, die auf einmal auftaucht und uns irgendwo hinschiebt, vielleicht genau dahin, wo man hin muss, es aber noch gar nicht weiß. Man wacht morgens auf und fühlt es einfach. Oder das Herz klopft, wie ein Kind beim Topfschlagen, obwohl man ruhig im Bett liegt. Irgendwas ist anders oder neu und es überflutet einen, wie eine Welle, gegen die man so gar nichts machen kann. Gott sei Dank, denn meistens ist es auch richtig so.
Aber was tut man, wenn man sich inmitten eines Wirbelsturmes befindet? Die einen hören auf ihr Herz, auf ihr sogenanntes inneres Kind, und folgen diesem. Die Anderen packen ihre sieben Sachen und weigern sich, sich so einem unüberschaubaren Chaos auszusetzen.
Doch im Endeffekt ist es doch immer das Gleiche: Wir wollen nie Langeweile, nie wirklich Ruhe (außer vielleicht ein bisschen Frieden), immer alles erleben und wenn es dann soweit ist, wenn man heraufbeschworen hat, was schon längst in einem geschlummert hatte, dann übermannt es einen und man versucht es wieder zu deckeln.

Warum arbeiten viele Menschen so hart auf ein bestimmtes Ziel hin, um dann im letzten Augenblick zu zögern und kehrt zu machen? Weil es auf einmal da ist, greifbar, real und unfassbar nah.
Warum träumen wir alle von der großen Liebe und steht sie auf einmal vor uns, so zittern uns die Knie, wir trauen sie uns nicht zu, sind ihr nicht gewachsen und blenden oftmals aus, was eigentlich sowieso da ist.

Träume sind einfach, man döst vor sich hin, man wälzt sich in schönen Gedanken, geht Pfade mutig und stolz entlang und hat das Gefühl, dass man alles erreichen und verwirklichen kann. Kommt aber das Gewitter über uns herein, rüttelt uns wach und fordert, dass es an der Zeit sei, die Träume umzusetzen, sich hineinzuwerfen in Risiken, da werden wir plötzlich kleinlaut und murmeln vor uns hin, dass wir irgendwie noch nicht bereit seien.

Was wäre wenn, hätte/könnte/wollte/sollte – wer will schon sein Leben damit verbringen, sich diesen Phrasen stellen zu müssen. Sich eingestehen zu müssen, dass nie die berufliche Herausforderung, der Gedanke an das Auswandern oder die plötzlich ins Leben tretende, große Liebe es war, die Angst machte, sondern alleine die Angst, diesen wundervollen Umständen nicht gewachsen zu sein?

Ich habe keine Lust darauf, dass meine To-do-in-life-Liste immer länger wird, nur deswegen, weil ich mir einrede, dass ich für mindestens die Hälfte der Dinge noch nicht gewappnet sei. Im Endeffekt ist man es nämlich immer und zu jeder Zeit, weil nichts ins Leben tritt, was nicht zu bewältigen ist.

Natürlich sind wir nicht immer hoffnungslose Feiglinge, aber bei den großen Herzensangelegenheiten, bei denen wir das Gefühl haben, sie würden vielleicht nur einmal im Leben erscheinen, da packt uns eher die Panik, als der Enthusiasmus.
Doch wenn wir ehrlich sind, haben wir bis jetzt so einige Naturgewalten überlebt, manche davon sogar besser gemeistert, als wir uns vor dem Erklimmen des Gipfels zugetraut hatten. Rückblickend ist man immer schlauer, ja, aber wann nimmt man denn die Weisheit der Erkenntnisse einfach mal mit auf die Lebensreise?
In uns allen schlummert eine Gewalt, von der die meisten keine Ahnung haben. Jeder in meinem Freundeskreis hat Dinge erlebt, die mich nur beim Zuhören schon zusammenzucken lassen, aber sie sind allesamt auferstanden wie Phönixe aus der Asche. Und dann schaue ich auf meine eigenen jungen Jahre zurück und kann mir auf die Schulter klopfen, weil ich selbst alles perfekt gemeistert habe und nichts bereue.

Vielleicht sollten wir ab und an den Terminkalender weglegen, das Hirn ausschalten und unserer inneren Kraft vertrauen. Die war schon immer da und kennt somit keine Angst, keine Vernunft, keine Schwäche. Mit ihr kann man sich dem Gewitter stellen, man findet einen Weg durch das Chaos und am Ende – so, wie ich gerade durch meine Dachfenster erkennen kann – schiebt sich die Sonne durch die Wolken. Man nimmt wahr, was man durchgehalten hat und vor allem, für was es sich gelohnt hat, über sich hinaus zu wachsen. Und mutig zu sein. Und einen Schritt, nur einen, weiter zu gehen, als die Anderen. Denn fragt sich eigentlich mal jemand, was passiert, wenn der Plan auf einmal aufgeht?

Da fallen mir nur noch die Zeilen ein:
I can see clearly now, the rain is gone.
I can see all obstacles in my way.
Gone are the dark clouds that had me blind,
It's gonna be a bright, bright sun-shiny day.

© Ani 2012

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