Montag, 23. April 2012

Wait a minute, Mr Postman

oder die Geschichte vom Lebenscocktail im Päckchen



Was macht man, wenn jemand sein Päckchen bei einem ablädt? Weil er es selbst nicht mehr tragen kann oder will. Weil es so schwer wird, dass man es abstellen muss. Irgendwo. Egal, wo.
Annehmen? Wohl eher nicht. Vielleicht erst mal den Kopf schütteln, wenn´s zum Sprechen nicht reicht.

So hat jeder sein Päckchen zu tragen. Meine Vorliebe, allseits verhasste Volksweisheiten in die unpassendsten Momente einzubauen, wird eigentlich immer mit genervtem Rollen der Augen kommentiert. Doch heute und hier passt er leider wie die Faust aufs Auge. Manch einer lädt sein Päckchen beim Anderen ab, weil es zu schwer wurde und man auch irgendwie keine Lust mehr hatte, zu tragen. Ist man dann zu baff, um geistreich zu kontern, und nimmt es auch noch an, steht man da, wie der Depp vom Dienst und wird auch noch stehen gelassen. Man wird angeschrien, obwohl man doch eigentlich nichts gemacht hat, im Gegenteil, man hat die Wahrheit ausgesprochen und weil die kaum zu ertragen ist, wird man dafür bestraft. So war es doch schon immer. Die, die was zu sagen hatten, oder die, die einfach nur anderer Meinung waren, wurden in der Antike verbannt (auf schöne Inseln, darauf kann ich mich irgendwie noch einlassen), im Mittelalter hingegen verbrannt (was nicht meiner Vorstellung entspricht).

Wer jemand Anderen anschreit, schreit nur sich selbst an. Meine Meinung.

Und so läuft es ständig, auf der ganzen Welt und jede Sekunde. Menschen projizieren ihre eigenen Probleme auf Andere und wenn man mit ausgebreiteten Armen dasteht, dann hat man am Ende nur noch mehr zu tragen und es ist eine Frage der Zeit, bis man selbst zum Nächsten geht – anstatt eine andere Meinung nur mal anzuhören.

Du greifst halt auch einfach immer so richtig in die Scheiße. Als mir ein Freund diesen Satz am Wochenende vor den Latz - anders - Cocktail, knallte, war ich erst mal sprachlos. Harte Worte, einiges dahinter. Man sagt sich immer, dass man das nicht bewusst macht, aber es wird ja nicht gegriffen, sondern man greift und damit ist man wohl verantwortlich. Scheiße.

Wenn man beschließt, sich einen Lebenscocktail mixen zu lassen, dann sollte man sich bewusst machen, ob er nicht zu stark ist. Man nippt nur ein kleines bisschen (das sind die schlimmsten Zeitgenossen), aber da hat er einen schon und der Lebenssog beginnt und ehe man sich versieht, läuft man am Morgen nach Hause und hat das Grauen im Gepäck.

Und trotzdem muss man sich eingestehen, dass man selbst die Reißleine hätte ziehen können, sei es die vom eigenen Happy-Birthday-Luftballon, der einen so kindlich dastehen lässt, oder die Reißleine einer tickenden Zeitbombe. So oder so, man tut es nicht, denn der Cocktail schmeckt herrlich, bis die Wirkung einsetzt und man wieder ankommt. Da, wo man eigentlich herkommt: Kopf schütteln.

Aber schon Hesse hat diesen Schmerz so wundervoll neu definiert, indem er schrieb:
In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Und somit beginnt man, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen. Sprich, nur das zu tun, was glücklich macht und sich mit Menschen zu umgeben, die die eigene Anwesenheit schätzen. Dann findet man sich in einem 48h-Geselligkeits-Party-Fieber wieder, fliegt auf den Mond, bucht eine Reise nach Rom und wird nach Afghanistan eingeladen – Dinge, die nicht jeder in seinem Leben genießen kann.
Man ändert quasi die Laufrichtung und hofft währenddessen, dass man nicht, wie in einer von Kafkas Parabeln, daraufhin von der Katze gefressen wird.

Ein Viertel Jahrhundert geballter Freude, Erfahrungen (und was für welche!), Lebenslust und Traurigkeit geht zu Ende. Auf die nächsten 25 Jahre, auf Weisheit mit dem Löffel fressen, im Regen joggen zu gehen und saudumm daher zu reden. Auf den Wendepunkt und auf alles, was so oder so kommt.

Bis dahin lade ich ab und an mal gerne mein eigenes Päckchen bei Freunden ab, mal so zwischendurch, nur mit dem Unterschied, dass ich vorher frage und die Option offen lasse, es wieder Retour zu schicken. Es ist ja schließlich meins. Mein Päckchen, meine Verantwortung, mein Leben. Nur bitte nicht schubsen.

Für meine afghanische Schönheit, weil du mir ein so tolles Notizbuch für diese Einträge geschenkt hast und von Anfang an dabei bist.
© Ani 2012

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