Mittwoch, 2. Januar 2013

Nein, ich will


Ok. Als ich über Weihnachten viele alte Freunde besucht und gleichzeitig viele neue Gesichter kennengelernt habe, bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Die Mädels und Jungs fangen an zu heiraten. Oder Häuser zu bauen. Wahlweise auch beides, teilweise gleichzeitig.
Zu Gast war ich bei Bekannten, die nicht viel älter sind, als ich selbst, und gerade ein riesiges Neubauhaus in eine noch riesigere Neubausiedlung gestellt haben. Schön, relativ leer, supermodern, mit Bildschirmen in Wänden, wo ich sie nicht verstehe und tollem Kamin, der die Kombination aus Wohlfühlatmosphäre und kühlem Trend zur Geltung bringt. Hach.
Vom ersten Moment an hatte ich das Gefühl, ich sei ein Teenager, der irgendetwas kaputt machen könnte. Und daran hatte aber weder das Haus Schuld, noch die Leute – es lag einzig und alleine an mir.

Auf der Heimfahrt habe ich überlegt, wie viele verschiedene Arten des Lebens und Zusammenlebens es gibt. Und wie man dazu neigt, sie zu pauschalisieren – und zwar in zwei Kategorien. Die Menschen, die eher ländlich wohnen, und die, die es vorerst in die Städte gezogen hat. Die meisten meiner Freunde, die dort zurückgeblieben sind, wo ich aufgewachsen bin, befinden sich in oben genannten Angelegenheiten im absoluten Schnelldurchlauf. Ausbildung, Zusammenziehen, Heiratsantrag, Haus bauen, inklusive leerem Zimmer als Alibi-Arbeitsbereich. Ich frage mich, wie und wann die das in der Zeit hinbekommen haben, während ich mit meiner besten Freundin über unglaublich lausige Dates gelästert habe und immer wieder weitschweifend darüber nachdachte, was ich denn jetzt mit meinem Leben so anstellen solle.
Die Menschen, die ich in der Stadt kennengelernt habe, Menschen mit ähnlichen Lebensvorstellungen wie ich, die bewohnen noch WGs oder kleine Apartments, in denen die Küche neben dem Bett ist. Sie sind entweder Langzeit-Singles oder befinden sich in Beziehungen, die sie allerdings nicht daran hindern, ordentlich feiern zu gehen oder Auslandspläne zu schmieden. Und wenn sie das Wort Baby hören, kriegen die meisten einen Hustenanfall. Alles ein bisschen chaotisch, alles ein bisschen ohne roten Faden – vielleicht gerade deswegen gefällt es mir so sehr.

Vor einigen Jahren habe ich im Schaufenster eines kleinen spanischen Designerladens ein Brautkleid im Schaufenster gesehen. Ich habe mich auf der Stelle unsterblich verliebt und es abfotografiert. Seitdem habe ich es vielen Leuten gezeigt, vor allem Männern, die potenzielle Heiratskandidaten waren. Ich dachte, wenn sie es schaffen, sich ein Brautkleid anzusehen ohne wegzurennen, dann könnte es was Ernstes werden. Jedenfalls fanden es alle meine Freundinnen wunderschön, die Männer jedoch hatten immer etwas daran auszusetzen. Mir ist das egal, das Kleid wurde ohne Zweifel nur für mich geschneidert (ironischerweise ist es mir in dieser Boutique übrigens aufgefallen, als meine damalige Beziehung in Trümmern lag).

Ich selbst sehe mich als emotionale Planerin – ich möchte immer verliebt, überrascht und neugierig sein, jedoch den Rahmen des Ganzen spanne ich. Zum Beispiel wusste ich schon immer ganz genau, wie so ein perfekter Antrag auszusehen hat, aber würde ich ihn vorher schon wittern und somit nicht überwältigt sein, würde ich ihn wohl trotzig ablehnen und erwarten, dass das Ganze nochmal neu geplant werden würde. Auch auf den Ring soll meine beste Freundin gerne im Vorfeld einen Blick werfen.
Aber, um ehrlich zu sein, all das sage ich nur, weil mir noch kein Antrag gemacht wurde. Weil ich nicht weiß, wie es sich anfühlen muss, wenn sich der Mensch, den man liebt, allen Mut zusammennimmt und fragt, ob man den Rest des Lebens mit ihm verbringen will. Weil man sich so einen Zauber in der heutigen Schnelllebigkeit kaum vorstellen kann. Denn irgendeiner wettert immer dagegen, kommt mit Scheidungsstatistiken, ansteigenden Zahlen von Eheberatern, der finanziellen Unsumme einer Scheidung und so weiter.

Eine Bekannte kam kürzlich in den Genuss eines Antrages. Und auch wenn dieser aus einem Missverständnis und Aufregung heraus total schief gelaufen war, so war ich dennoch unglaublich gerührt, als ich davon gehört hatte. Denn was ja eigentlich und nur zählt, ist das Versprechen, welches sich beide gegeben haben. Egal, ob es vielleicht irgendwann gebrochen wird. Wir sind alle nur Menschen, wir können die Zukunft nicht sehen und wir können auch nicht beeinflussen, ob sich Menschen verändern. Aber wir können zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas wollen. Uns sicher sein. Es versuchen und versprechen. Für unser Gegenüber und für uns selbst.

Tendenziell werden wir aber immer älter, bis wir solche Schritte wagen. Ich kann das gut nachvollziehen. Weil ich noch so viel vorhabe, was mit Familie nicht möglich ist. Oder vielleicht, weil ich noch ein bisschen auf mich selbst aufpassen möchte, bevor ich wirklich Verantwortung für andere übernehmen will. Aber im Grunde sprechen wir hier von den Dingen des Lebens, für die wir doch alle leben. Am Ende des Tages wird kaum einer Nein sagen zum Häuschen im Grünen, mit Hund im Garten, Bio-Eiern und netten Nachbarn.

Doch muss man dazu heiraten? Ich frage das, weil es in meinem Bekanntenkreis häufig diskutiert wird. Muss man sich also auf einmal wieder mit der Kirche anfreunden, nur, weil man mit charmanten Vorstellungen eines solchen Tages aufgewachsen ist? Wird deswegen das Heiraten am Sandstrand unter freiem Himmel immer populärer? Weil das Mädchen nicht auf das Kleid, die Romantik und das Versprechen verzichten möchte, der Mann aber aus der Kirche ausgetreten ist? Kann man die Kirche an dem Tag ausblenden und trotzdem sein Versprechen vor Gott leisten?

Meine (sehr gebildete) Freundin klärte mich ja übrigens kürzlich darüber auf, dass von früher her gesagt wird, die Ehe sei schon immer ein Entgegenkommen für das schwache Geschlecht gewesen. Man gebe ihm dadurch Sicherheit. Aha, da hat sich aber so Einiges, äh, weiterentwickelt. Angesichts dessen, wie viele Ehen über die Jahre einschlafen und man am Ende pleite wegen der Scheidung ist, vermittelt sie vieles, nur nicht Sicherheit.

Viele Städter leben übrigens in wilder Ehe und bauen kein Haus, sondern mieten sich eine schnieke Altbauwohnung. Und bei diesem Gedanken höre ich wieder das Landei in mir, dem das irgendwie auch nicht so recht wäre.
Was genau ich wirklich will, das kann ich weiterhin planen. Um dann alles zu verwerfen, weil mein Gegenüber andere Pläne geschmiedet hat – es gehören ja unglücklicherweise immer zwei zum Heiraten.

Und da muss ich an einen Satz aus meinem Lieblingsbuch denken, da heißt es von Steffi von Wolff: „Würde mich jemand heiraten, wenn ich verspreche, nein zu sagen?“ 
Vielleicht müssen wir ja, um all die Zweifel und Zukunftsängste weglächeln zu können, erst mal Nein sagen, um uns Ja zu trauen.

Ich hätte ja übrigens ein Kleid. Und wenn mir niemand einen Antrag macht, dann trage ich es trotzdem irgendwann. Am Strand oder so.

© 2013 Ani

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