Sonntag, 4. September 2011

Wie ich versuche, meine Luxusprobleme aufzuessen und daran nicht zu ersticken

In Zeiten wie diesen und in einem Land wie diesem, habe ich oft das Gefühl, dass wir uns selbst umso mehr einschränken, je mehr Möglichkeiten wir bekommen. Das ist wie im Drogerie-Markt. Gäbe es nur zehn verschiedene Deo-Düfte, anstatt gefühlte zehntausend, würden wir alle (statistisch gesehen) öfter mal gleich riechen, könnten aber die Zeit, in der wir ratlos vor dem Regal stehen, sinnvoller nutzen.

Aber die aktuelle Gesellschaft hat sich dagegen entschieden. Wir können alles tun, alles ausprobieren, wir dürfen sein, wer wir wollen. Heute Mann, morgen Frau und solange wir es nicht wissen, können wir auch was dazwischen sein. Der einzige, der uns dabei im Wege steht, sind wir selbst und nur wir, denn alles andere ist überwindbar, ersetzbar, unnötig, Luft, Luft, Luft!

Wir können aus der Tür gehen und brauchen vor nichts Angst zu haben. Wir können nachts in den Pommesbuden dieser Stadt und unseres Vertrauens einkehren, weil sie immer offen haben. Meistens jedenfalls. Wir dürfen uns im Sommerkleidchen auf den dreckigen Asphalt setzen und uns gut dabei fühlen.  Wir dürfen auf offener Straße ein Bier in der Hand halten, ohne es intelligenterweise in einer Papiertüte verschwinden lassen zu müssen.
Wir dürfen studieren, wissen aber nicht was und wenn wir fertig sind, fragen wir uns auch, ob es das richtige war. Wir zählen am Ende des Geldes die restlichen Tage des Monats, aber irgendwie schaffen wir es doch immer wieder, auch mit zwei Jobs glücklich zu sein. Jung zu sein und das Leben zu genießen, weil es einfach so unfassbar lebenswert ist.
Wir wollen spontan verreisen und finden nicht zufällig den mysteriösen, rettenden Geldkoffer im Kofferraum unseres nicht vorhandenen Autos? Schwupps, da gibt es Billigflieger, deren Angebote günstiger sind als die Anreise zum Flughafen.
Irgendwie haben wir es immer wieder geschafft. Und je länger ich darüber nachdenke, merke ich, dass das, was mich manchmal traurig und gar unzufrieden macht, nur die Ungeduld ist, dass das letzte Fünkchen halt doch noch nicht passt. I.C.H. bin mein einziges Hindernis.

Können wir uns komplett so annehmen,wie wir sind oder schämen wir uns vor Niederlagen, Schwächen, Macken? Verheimlichen wir bewusst Fakten über uns? Werden wir von heute auf morgen Sushi-Liebhaber, weil es halt so unausweglich hip und modern ist? 

Ich habe ja eine Schwäche für 80er Jahre Musik, was manchmal anerkennend gewürdigt, aber meist peinlich berührt abgewiesen wird. Ich schaffe die große Schokokränze-Packung made by Netto und mir wird dabei leider einfach nicht schlecht, jedenfalls nicht so richtig. Meine High-Heels stehen neben meinen Chucks, in meinem Schrank hängen teure Fummel neben ausgeleierten Leggins und ich frage mich so oft, wer davon ich bin, anstatt zuzulassen, dass ich halt beides bin.
Ich habe eine Tätowierung, gar nicht mal so klein, neige aber trotzdem dazu, sie zu vergessen und überlege ständig, mich mal tätowieren zu lassen. Ich rede zu schnell und denke in lebensbedrohlichen Situationen zu langsam - das nehme ich zumindest an. Ich kritisiere, obwohl ich während meiner Argumentation merke, dass ich eigentlich zustimme. Und natürlich würde ich es nie zugeben. Ich besitze sowohl Kassetten von Benjamin Blümchen, als auch von Bibi Blocksberg und diskutiere immer noch gerne mit anderen Fans beider Parteien, weil ich mich einfach nicht für eine Seite entscheiden will.

Hui, krasse Sache, so ein tolles Leben und trotzdem ist ja nach zwei Gläsern Wein alles blöd, man redet über die Liebe und wie sie nicht funktioniert, selbst wenn sie funktioniert.
Oder man hat Angst vor der Zukunft, wobei ich mich ja immer frage, wovor man da immer Angst hat, schließlich ist die Zukunft ein Zeitpunkt, der niemals eintritt. Kannste noch so sehr versuchen, die klopft nicht nachts an deiner Tür, also mal was riskieren, man wird sich ja doch nicht begegnen.

Als ich mal vor knapp zwei Jahren eine schier unbeschreiblich tolle Nachricht bekam, bin ich wie eine Verrückte durch die halbe Stadt gelaufen, ich hab jeden angestrahlt und als ich auf dem Marienplatz ankam, stand da ein Mädchen. Sie hatte ein „Free Hug“ Schild um den Hals, also ging ich auf sie zu und wir haben uns umarmt. Sowas. Das ist es einfach. Davon will ich mehr und ich nehme mir es auch. Ich werde weiterhin nachts barfuß nach Hause laufen, weil ich es überleben werde, wenn ich in eine Scherbe trete. Ich werde weiterhin auf dem kalten Boden sitzen und Eis essen, weil ich in meinem ganzen Leben noch keine Blasenentzündung hatte und die doofe Oma endlich mal klar kommen soll. Und jetzt alle im Chor: I am a king of my own! Har Har Har!
(c) 2011 Ani

1 Kommentar: