Ich stehe etwas verloren in einem Zirkus der 20er Jahre. Eine grazile, blonde Schönheit hält meine Hand, während ein überdrehter, in samtrot gekleideter Zirkusdirektor schreit und wild dazu gestikuliert:
„Die Weltsensation, das haben Sie noch nie gesehen. Die Frau, die mit einem Fluch belegt ist. Kommen Sie näher, überzeugen Sie sich selbst. Ob es ansteckend ist, werden Sie ja die nächsten Tage selbst herausfinden! Hö Hö.“
Ein bisschen freue ich mich ja schon, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, von Menschen, die mich am besten kennen und versuchen, mir zu helfen. Ich armes Ding.
Da hab ich mir also so einen blöden Fluch angezogen, der ist in der Tat sehr ansteckend, ich weiß nämlich ganz genau, von wem ich ihn habe, nur meiden kann und will ich den Menschen nicht, also müssen wir da jetzt zusammen durch. Und verdoppelten unser Pech in den letzten Tag stehts direkt proportional zu den Aktivitäten, die anstanden.
Jeden Morgen sage ich mittlerweile „Heute wird ein guter Tag!“ und zwei Stunden später werde ich eines besseren belehrt. Zum Beispiel steige ich seelenruhig in die falsche S-Bahn, fahre noch seelenruhiger vor mich hin, steige gedankenverloren aus und laufe los. Irgendwann (!) merke ich, dass das Städtchen mir ein wenig, nun ja, portugiesisch vorkommt, ich drehe mich um und lese, dass ich zwar sehr willkommen hier sei, jedoch leider nicht dort angekommen war, wo ich hin musste. Das Ende vom Lied war, dass ich die S-Bahn zurück genau verpasste und im Endeffekt fast 40 Minuten zu spät kam. Naja, so was macht einen ja sympathisch. Manchmal auch nicht.
Nach diesem grandiosen Einstieg in einen Mittwoch, kramte ich ein altes WG-Rezept heraus und versuchte mich daran, schwelgend in schönen Mädchen-WG-Abend-Erinnerungen. Ich schob den fertigen, unglaublich aussehenden und bald auch unfassbar riechenden Auflauf in den Ofen und verfasste in der Zwischenzeit eine Email an meine Freundin. Die fragte, wie es mir ginge, also erzählte ich ihr eher belustigt über meine anhaltende Pechsträhne. Abgetippt, abgeschickt, Ofen klingelte. Ich stieg auf meinen Stuhl, mein Ofen befindet sich nämlich platzsparenderweise (das Mädchen ist ja so ein Fuchs) im ersten Stock, direkt über meinem Herd. Und ich wusste da schon, ich würde ihn fallen lassen, obwohl ich schon so oft da irgendwas rausbekommen hatte. Ohne Unfälle und Verluste. Aber ich wusste es und ich hätte es einfach lassen sollen, hab ich aber nicht (doch kein Fuchs), und so jonglierte ich das Ganze, gestand mir in Sekundenschnelle ein, dass das nichts mehr werden würde und kippte die Form noch rechtzeitig in meine Spüle, anstatt über mich (wie gesagt, sie ist ein Fuchs). Trotzdem zersprang mir die Glasform in tausend Stücke, eins davon machte es sich in meinem großen Zeh bequem und der blutete los – auf meinen weißen Stuhl. Meine Küche war überzogen mit vor sich hinlaufenden Parmesan, überall lagen Gemüsestücke und ich stand da – in T-Shirt und Buxe, und weil ich nicht mehr klarkam mit diesem Fluch, fing ich an zu heulen. Dann musste ich wieder lachen, bis ich letztendlich Tränen überströmt die Gabel in die Hand nahm und anfing, meinen weit verbreiteten Auflauf zu essen – aus Frust und Trotz. Schnell hab ich es gelassen – die Scherben, die Scherben, die knirschen.
Und nachdem mich seit Tagen meine Freunde fragen, was denn los sei, was mich so beschäftigen würde, ob alles ok sei, da fing ich auch mal an nachzudenken.
Ist da irgendwas, was mir auf der Seele brennt? Sind es die Versöhnungswochen, die meine Gesellin und ich ins Leben gerufen hatten? Nachdem der einen nach einem Jahr der Exfreund mitsamt neuer Freundin über den Weg lief, sich der Exfreund bei der Anderen gemeldet hatte und die Dritte mit einer ehemaligen Affäre konfrontiert wurde, beschlossen wir, ein paar Leichen aus dem Keller zu holen, nochmal zu betrachten und eventuell die lang ersehnte Ruhe zu gewähren. So befand ich mich auch inmitten meiner Aufgabe, ich söhnte mich mit jemandem aus, mit dem es mir lange schwer fiel, aber als ich die strahlenden Augen sah und merkte, wie sehr diese Person sich freute, mich zu sehen, da brauchte es gar kein Gespräch mehr. Nur einen Wein und ein bisschen Smalltalk.
Versöhnungswochen haben es in sich. Man springt über den eigenen Schatten, für sich und Andere. Vielleicht ist es das, was mich gerade so aushebelt, kann gut sein. Vielleicht ist es auch ein Mix aus allem, vielleicht ist ja Vollmond, vielleicht ist es die anhaltende Schwüle (wie im Wilden Westen, der ist nämlich gefährlich und da schießen alle immer gleich drauf los, das kann auch verwirren).
Wenn die Versöhnungswochen vorbei sind, geht mit ihnen eventuell ja auch mein Fluch. Der kann gerne gehen, der hat mich jetzt sowohl bereichert, als auch blockiert, ich finde, das reicht. Will nicht mehr im Zirkus stehen.
Wichtig an solchen Tagen wie gestern ist dann natürlich, dass man sich – wie meine Freundin riet und was so gut zum Wilden Westen passt – sich wieder zurück aufs Pferdchen schwingt und weiterreitet. Das habe ich dann auch gemacht. Ich habe meine Küche geputzt, meinen Boden, mein Auflauf-Highlight in den Müll geschmissen und mich ins Bett gelegt. Per Link bekam ich die passendste SATC-Folge empfohlen, angeschaut, gelacht, geheult, glücklich geworden. Später am Tag habe ich mich voller Inbrunst nochmals an den Auflauf gewagt. Nur diesmal habe ich ihn im Ofen meiner Freundin schmoren lassen und dazu zwei Gläser Weißwein getrunken – für den Fall, dass ich wieder nichts zu essen bekommen würde.
Also Freunde, die ihr auch verflucht seid, tretet dem einfach mal kräftig in den Arsch. Und vergesst nicht die Leichen in eurem Keller, die haben mehr Macht über euch, als ihr denkt. Dann werdet ihr nach und nach auch aus dem Zirkus entlassen und könnt wieder losreiten. In den Sonnenuntergang. Hach. Verschwitzte Frauen auf Pferden, mit Leichen am Wegesrand und eigentlich nur auf der Suche nach einem Segen. Und einem Whiskey. Das braucht die Welt. Ja, das seh ich auch so.
© Ani 2012
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