Natürlich wusste ich schon vorher, dass ich wirklich wütend werden kann. Schließlich bin ich Widder, wir sind quasi dazu verpflichtet.
Aber heute war ich so wütend, wie schon lange nicht mehr und ich kann sie gar nicht wirklich greifen, diese Wut.
Aneinanderreihungen von schlechten Ereignissen nennt man in der Fachsprache eine „Abwärtsspirale“, deren Existenz ich absolut unterschreiben kann.
Es gibt z. B. Tage, an denen man alles verpasst, was es zu verpassen gibt. Straßenbahnen, U-Bahnen, wichtige Telefonate, Öffnungszeiten der Bank, wahlweise auch gerne der Post – die hat nämlich immer geschlossen – , Chancen, Schuh-Sale, gute Lacher, das Taxi nach Hause.
Alles halb so dramatisch, wäre da nicht diese Endlosspirale, in die man sich hineingezogen fühlt. Ich habe Letzt erst angefangen zu weinen, weil mir meine Reiswaffel auf den Boden gefallen ist. Da war's einfach zu Ende, irgendwann ist auch mal Schluss und beim Essen sowieso.
Dass man an solchen Tagen wütend wird, ist verständlich. Und dann sollte man auch in Ruhe gelassen werden, andere in Ruhe lassen, sich eine Tasse Tee kochen und Jazz hören. So mache ich das jedenfalls.
Aber dann gibt es eben auch so eine unterschwellige, lauernde Wut. Tagelang trug ich sie mit mir herum. Diese Mädchenmomente, in denen immer wieder die Tränen in die Augen steigen, aber man tapfer weiter lächelt, Hände schüttelt und sagt: Vielen Dank für die Chance und die Zeit, die Sie sich für mich genommen haben. Kam das aus meinem Mund? Wann hatte ich angefangen, erwachsene Sätze zu formen, die meinen Gefühlen meilenweit voraus waren?
Ich war wütend, ja, verdammt nochmal, und auf einmal kam sie hoch und ich bemerkte, dass ich nicht wütend war auf die Jobabsage, nicht auf den ausstehenden Anruf (naja, vielleicht ein bisschen), auch nicht, weil ich nie Waschmünzen habe, wenn ich sie brauche und schließlich auch nicht darauf, dass ich es ernsthaft schaffe, in einem 1-Zimmer-Apartment Dinge zu verlieren.
Ich war wütend auf mich selbst. Und dann war ich wütend, weil ich wütend war, es aber nicht sein wollte.
Warum hatte ich wiedermal nicht das geschafft, was ich mir vorgenommen hatte? Wie oft wird einem eigentlich das Ziel vor die Nase gehalten, um dann doch wieder zurückgezogen zu werden?
Es reicht nicht.
Diesen Satz kann ich selbst schon nicht mehr hören. Und dennoch spukt er in den Windungen meines Gehirns herum und selbst, wenn ich nachts aufwache, pocht er an meine Kopfwände.
In so vielen Lebenslagen bekommt man diesen Satz zu hören. Menschen trennen sich, weil die Gefühle nicht mehr reichen. Andere streiten sich, weil die Argumente für eine Diskussion nicht mehr reichen. Und wiederum Andere fahren jedes Jahr in den Harz, weil das Geld nicht reicht für den bayerischen Wald.
Und zu guter Letzt kam da noch die Liebe, bzw. Nicht-Liebe. Während ich tagelang nach den passenden Worten suchte, um in einer anderen Sprache auszudrücken, dass es eben simply not enough ist, kam mir ein ganz anderes Missverständnis zuvor. Dank Ferngespräch, wenig Empfang, Gestammel und charmanten Lachens meinerseits, wurde ich auf einmal mit einer Sängerin verglichen, die sich vor langer Zeit in die Herzen trällerte, weil sie für ihren Liebsten eintausend Meilen laufen würde.
Dabei wollte ich doch eigentlich nur sagen, dass es eben nicht reicht, um so weit zu laufen. Ich gab auf und legte auf.
Es reicht nicht. Für wen eigentlich? Reichst du denn dir selbst? Das wäre schon mal der Anfang.
Aber so ein bisschen Anerkennung von außen wäre schon nett und damit schließt sich wieder der Ego-Kreis der Anerkennung, nach der wir doch alle im Grunde so fieberhaft lechzen.
Ich bin wütend. Und ich bleibe es noch mindestens zwei Stunden lang. Der Guru sagt: Du bist wütend, weil du Angst hast. Gut, damit kann ich leben und ich stehe dazu, wie so viele meiner Generation. Ja, wir haben alle Angst. Reicht das nun für heute?
© Ani 2011
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