Mit Supertramp in
den Ohren jogge ich an der Isar entlang und bemerke – vielleicht zum ersten Mal
– , dass das Wasser unglaublich glitzert. Nach einem gefühlten Viertel meiner
ursprünglichen Jogging-Runde klappe ich fast zusammen und meine Lunge tut
unglaublich weh. Vier Monate kein Sport. Und ich schaue von der Brücke aus auf
das Wasser, wische mir die gedanklichen Tränen von gestern weg und denke mir: Ani. Das kann es doch echt nicht sein.
Ein Wochenende habe ich gebraucht, um nach drei Monaten
Abstinenz von meiner gefühlten Heimatstadt in dieser wieder Fuß zu fassen. Nein,
das ist gelogen, ich fühle mich immer noch nicht wieder wohl. Da ist irgendetwas
anders. Und es fehlt was. Irgendwie möchte ich aber wieder ankommen, mich
wieder wohl fühlen. Mag für den ein oder anderen einfach sein, aber ich bin ein
Gewohnheitstier und für mich ist das eine richtige Aufgabe. Dazu kommt, dass alles, aber auch alles, was mir gerade
nicht passt, über mich hereinbricht. Doch diesmal wird alles anders.
Ich habe mir überlegt, was in meinem Leben ein Geschenk ist,
das ich mir immer gewünscht hatte. Um die Dinge, die meiner Meinung nach nicht
rund laufen, ruhen lassen zu können. Die Liste ist lang, wenn man vor allem
bedenkt, dass da ausschließlich Großartiges zu lesen ist. Sie reicht von meiner
Bilderbuch-besten-Freundin zu meinen Eltern, die alles toll finden, was ich
mache. Über den Anderen, bis hin zu neuen, beruflichen Plänen, die auf einmal
einfach funktionieren. Und endet beim wichtigsten Menschen in meinem Leben und
der Erkenntnis, dass ich diesen doch eigentlich gut leiden kann. Selbst wenn er
sich in den Schlaf heult.
Trotzdem habe ich es neben all diesen Dingen in letzter Zeit
so oft geschafft, zickig, launisch und schlecht gelaunt zu sein. Mittlerweile
suche ich zwar die Fehler so gut wie nur bei mir, aber das macht es im Anfangsstadium
auch nicht so leicht. Warum also? Wie lange müssen wir noch mit Liebe und
Chancen überschüttet werden, bis wir daran ersticken und endlich inne halten?
Und sehen, dass wir morgen schon das vermeintliche Problem von heute belächeln?
Wie lange finden wir hinter jedem Satz noch ein „aber“? Wie lange dauert es noch, bis
wir verinnerlicht haben, dass wir erst uns selbst verzeihen müssen, um mit dem
Drumherum unseres Lebens klarzukommen? Um beispielsweise Mitmenschen verzeihen
und sie vor allem verstehen zu können?
Wie lange dauert es noch, bis wir akzeptieren? Das heißt ja
nicht, dass wir untätig da stehen müssen, weil wir uns einreden, keinen
Einfluss auf unser Leben zu haben. Das heißt nur, dass es manchmal einfach so
ist, wie es ist.
Klar, das ist die Königsdisziplin. Ich sage mir ganz oft:
Ani, du bist Widder. Und Einzelkind. Wenn du von Haus aus akzeptieren könntest,
dann wäre das irgendwie ein Fehler im System. Und dadurch nehme ich mir
gleichzeitig den Druck raus, alles können zu müssen.
Denn müssen muss
ich gar nichts. Ich kann und ich will. Aber ich muss nicht.
Also, wann fangen wir an? Heute? Oder doch lieber morgen?
Weil es heute vielleicht irgendwie noch nicht so passt? Weil man noch Wäsche
aufhängen muss und sich kurz, aber wirklich nur kurz nochmal aufregen möchte?
Schon gescheitert.
Wenn die von mir sehr geschätzte, 86-jährige Louise L. Hay, die
ihre ganz Kindheit lang missbraucht wurde und keinen Highschool-Abschluss hat,
es schaffte, sich ein weltweites Unternehmen aufzubauen und jeglichen Wunsch zu
erfüllen, dann kann ich das ja wohl auch. Der Schlüssel ist eine Mischung aus
positivem Denken, mit sich im Reinen sein und kein „aber“ zuzulassen.
Wir können es uns nicht leisten, zu zweifeln und zu zögern.
Denn genau das ist es, was uns zurückhält, was uns daran hindert, dort zu sein,
wo wir längst sein wollen. Und wozu eigentlich dieses „aber“? Was hat es uns je gebracht? Wenn wir der Intuition folgen
und einfach reinspringen ins Abenteuer und es am Ende nicht funktioniert, dann
ist es eben so. Dann kommt die Akzeptanz ins Spiel. Verloren haben wir dadurch
letztendlich nichts, wir haben eher an Weisheit und Erkenntnis gewonnen. Punkt.
Die wichtigste und grenzenloseste Sache auf der Welt ist
Liebe. Um „Ich liebe dich“ zu sagen,
verzichten wir auf die Skepsis. Auf einen Hinterausgang. Wir lassen uns voll
und ganz fallen, anders geht es gar nicht. Die Worte und das damit verbundene
Gefühl können gar nicht existieren, wenn es ein Hintertürchen geben würde. Wie
kann es dann sein, dass wir unser Leben lang nur auf der Suche nach diesem
Gefühl sind, und uns ab und an bedingungslos hineinwerfen, während wir
Angsthasen bezüglich so vieler anderer Situationen sind? Schließlich verlieren
wir die allseits geliebte Kontrolle dabei. Trotzdem tun wir es. Weil nichts
anderes zählt. Das weiß jeder von uns.
Aber bei kleineren Dingen trauen wir uns nichts zu. Finden
Ausreden und verschieben alles in dieses Mysterium, welches wir morgen nennen.
Wie können wir es also schaffen, einerseits bedingungslos zu
lieben – sei es den Partner, die Mutter, das Haustier – aber gleichzeitig immer
wieder zurückschrecken vor alltäglichen Baustellen?
Ich jogge, bis ich sprichwörtlich umfalle. Ich meditiere,
bis ich einschlafe. Ich mache Yoga, obwohl oder gerade weil mein Körper so
eingerostet ist. All das ist jenseits der Perfektion, und das bin ich auch.
Alles ist an seinem Platz. Atmen. Ich habe alles, aber auch
alles, richtig gemacht. Atmen. Hätte ich anders handeln können, hätte ich
anders gehandelt. Hab ich aber nicht. Atmen. Ich liebe dich ohne aber. Atmen. Und das fühlt sich verdammt
gut an. Atmen.
© Ani 2013